Wolf Shadow Bd. 2 - Magische Versuchung
nicht da war. Sie hatte sich daran gewöhnt, sich nachts an ihn zu kuscheln. Das würde sie an diesem Abend vermissen – zumindest in den wenigen Sekunden zwischen dem Moment, in dem sie sich hinlegte, und dem des Einschlafens.
Sie öffnete die Augen und streckte den Rücken, bevor sich die Aufzugtür öffnete. Das Gebäude hatte ein ganz anständiges Sicherheitssystem, eine Mischung aus Alt und Neu – eine Tür, die elektronisch bedient wurde, und einen Wachmann mit einer Besucherliste, in die man sich persönlich ein- und auszutragen hatte. Als er sie sah, machte er einen Witz über ihre „wirklich sehr geduldige Verabredung“. Sie warf einen Blick durch die dicke Glastür und sah dort Benedict warten.
Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, ein Taxi nach Hause zu nehmen. Doch das wäre dumm gewesen. Falls ihre Angreifer es heute Abend noch einmal versuchen sollten, würde sie wahrscheinlich im entscheidenden Moment gähnen müssen und wichtige Sekunden zum Reagieren verlieren. Also hatte sie die Kröte geschluckt und beschlossen, vernünftig zu sein. Brav hatte sie Benedict angerufen und ihn darüber informiert, dass sie nun kommen würde – genauso, wie man es ihr aufgetragen hatte.
Ihre Lippen wurden schmal. Rule fand sie bockig, weil sie zusätzlichen Schutz ablehnte. Da war schon etwas Wahres dran, gestand sie sich selber ein, als der Wachmann die Tür mit einem Knopfdruck öffnete. Aber seine überhebliche Art machte sie wütend. Er hatte eine Entscheidung für sie getroffen und dann den ganzen Tag gewartet, um sie damit zu überfallen.
Sie trat hinaus an die Luft, die noch wenig von einer herbstlichen Kühle hatte. Trotzdem wurde sie gleich munterer. Diese Luft war nicht erst gefiltert und aufbereitet worden. Sie war kein Verbrauchsprodukt, sondern einfach nur Luft.
Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass sie aus der Sicherheit hinaustrat und sich damit der Gefahr aussetzte, was ihr Herz schneller schlagen ließ. Wie auch immer. Einen Moment lang atmete sie ruhig die frische Luft ein und fühlte sich wacher als seit Stunden.
„Hier stehen wir zu exponiert. Gehen wir lieber zum Wagen.“
Sie warf einen Blick nach rechts, auf über hundertneunzig Zentimeter personifizierten Unmut. „Hallo, Benedict. Mir geht es gut, danke. Und selber?“
Sein Lächeln war so flüchtig, als sei er aus der Übung. „Schön, dich wiederzusehen. Vor allem, wenn du nicht blutest. Können wir jetzt zum Wagen gehen?“
Sie seufzte. „Wo … Moment mal, das ist doch mein Auto!“
„Ich fahre einen Jeep. Keine Türen, kein Schutz.“
„Ich nehme an, dass Rule dir den Schlüssel gegeben hat.“
„Du bist sauer.“
„Das hast du richtig erkannt. Aber nicht auf dich.“ Sie trottete hinter ihm her und fühlte sich wie ein Zwerg. Rule war groß, aber sein Bruder war geradezu riesig – 1,95 groß, 110 Kilo schwer – grob geschätzt – und jeder Zentimeter Körper so gestählt, dass man sich blaue Flecken an ihm stoßen konnte.
Sie sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Bei Benedict erkannte man die menschlichen Vorfahren an der Haut – ein kupferner Ton, der auf amerikanische Ureinwohner schließen ließ, genauso wie sein schwarzes Haar, in dem hie und da erste Silberfäden zu entdecken waren, und seine dunklen Augen. Er trug Jeans, ein schwarzes T-Shirt und eine Jeansjacke, die sein Schulterhalfter verdeckte. Und, dem Himmel sei Dank, er trug nicht wie gewöhnlich auf dem Clangut die Schwertscheide, in der ein Meter Stahl steckte. „Was hast du bei dir?“
„So dies und das. Meine Hauptwaffe ist eine Sig Sauer.“
„Ich benutze auch eine Sig.“
„Gute Wahl. Ich wollte meine SAW mitbringen, aber möglicherweise hätte jemand meinen Wagen durchsucht. Verhaftet wäre ich nicht mehr zu viel nutze gewesen.“
„SAW … eine Squad Automatic Weapon. Redest du von einem Maschinengewehr?“
Er nickte. „Hat eine durchschlagende Wirkung.“
„Da kann ich mich wohl glücklicher schätzen, als ich gedacht habe.“
Sie erreichten ihren Toyota. Er nahm den Fahrersitz so schnell in Beschlag, dass ihr gar keine andere Wahl blieb, als widerwillig auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen. „Ich bin durchaus in der Lage zu fahren. Meine Reflexe sind fast so gut wie deine.“ In dieser Hinsicht kam sie nach ihrer Großmutter.
„Fast so gut wie Rules vielleicht.“ Er ließ den Motor an. „Nicht so gut wie meine.“
Sie sah ihn an und fragte sich, wie schnell er wohl tatsächlich war. Lily hatte ihn schon
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