Wolf Shadow Bd. 3 - Dunkles Verlangen
„Oje.“
„Hallo, Sabra“, sagte Cullen sanft. „Lang ist’s her.“
„Ich … ja.“ Ihre Hand fuhr an ihre Brust und flatterte dort unsicher. „Ja, das stimmt. Äh … kommen Sie herein. Ich sage Papa, dass Sie da sind.“
Sie ließ sie in der großen Eingangshalle stehen, während sie den Flur hinunterflüchtete. Ihre Flipflops klatschten auf den Holzboden. Gegenüber der Tür befand sich eine Treppe. Zu ihrer Rechten ließ eine geschlossene Tür vermuten, dass dort eine Garderobe war. Zu ihrer Linken führte ein Torbogen ins Wohnzimmer, in das sie nicht hineingebeten worden waren.
Alles war sehr sauber und seit ungefähr sechzig Jahren aus der Mode. Cynna kam sich vor, als befände sie sich wieder in den Fünfzigerjahren.
Sie wandte sich mit gesenkter Stimme an Cullen. „Sie ist Victors Tochter?“
„Eine von dreien. Die jüngste hat jemanden außerhalb des Clans geheiratet. Das hat damals ganz schön Ärger gegeben. Die älteste ist vor ein paar Jahren gestorben. Selbstmord.“
Chief Mann schüttelte den Kopf. „Wenn Sie Marybeth meinen – sie war Victors Schwester, nicht seine Tochter. Das ist vor zwanzig Jahren passiert, und Marybeth war über vierzig, als sie starb. Traurige Geschichte. Eines Nachts ist sie mit ihrem Wagen auf die Eisenbahngleise gefahren und hat dann einfach auf den Zug gewartet.“
„Anscheinend habe ich da etwas durcheinandergebracht“, sagte Cullen.
„Ich bin erstaunt, dass Sie davon gehört haben.“
Cullen lächelte. „Wir sind echte Klatschmäuler. Reden die ganze Zeit über andere.“
Cynna warf ihm einen neugierigen Blick zu. Cullen hatte viele Fehler, aber sein Gedächtnis war ausgezeichnet. Müsste er nicht eigentlich wissen, wie viele Kinder der Rho der Leidolf hatte? Darin waren Lupi doch sicher sehr genau.
Cullen bemerkte ihren fragenden Blick nicht. Er betrachtete die Wand. „Ich komme gleich wieder“, sagte er plötzlich und streckte die Hand nach der Tür aus.
„Warte einen Mo…“ Zu spät. Er war schon verschwunden. Ein schöner Berater war das. Einfach so abzuhauen. Wenn er nicht …
Eine Stufe auf der Treppe quietschte, und Cynna hob den Blick.
Eine junge Frau – sehr jung, dachte Cynna, vielleicht achtzehn, neunzehn Jahre – kam langsam herunter, die Hand auf dem Geländer. Sie lächelte schüchtern. Ihre Augen waren blau und ihr Haar hellbraun. Sie trug eine tief sitzende Jeans und einen engen blauen Pullover.
Interessantes Styling, vor allem wenn man bedenkt, dass sie mindestens im siebten Monat schwanger war. War ihr denn nicht kalt bei so viel nacktem Bauch?
„Merilee? Willst du dich nicht lieber ausruhen?“
Cynna zuckte zusammen. Der Mann, der das gesagt hatte, war so leise durch den Flur gekommen, dass sie ihn nicht gehört hatte.
Victor Frey sah eher aus wie ein Professor und nicht so sehr wie ein Tyrann. Vielleicht lag das an dem alten Pullover mit Lederflicken an den Ellbogen oder an der zerknitterten Hose. Er war groß, weit über eins achtzig, und dünn und hatte große Hände mit knochigen Handgelenken.
Das Mädchen lächelte unsicher zu ihm herunter. „Ich bin nicht müde.“
Sabra kam hinter ihrem Vater zum Vorschein. „Ich könnte Hilfe in der Küche gebrauchen, Merilee, wenn du Lust hast.“
„Natürlich.“ Genauso vorsichtig wie zuvor stieg sie die übrigen Stufen hinunter.
Victor beobachtete sie, als bezweifelte er, dass sie das Gleichgewicht halten konnte. Als er noch jünger war, hatte er wahrscheinlich die gleichen goldenen Haare gehabt wie sein reizbarer Sohn, aber jetzt war es strohfarben verblasst und mit weißen Strähnen durchzogen. Seine Augen hatten die blassblaue Farbe eines Winterhimmels, und sein Gesicht war voller freundlicher Falten. Jetzt allerdings zogen sich die Linien erschöpft nach unten, und er sah älter aus als sechzig, das Alter, das Rule genannt hatte.
Das kommt von der Trauer.
„Geht es dir gut, Merilee?“, fragte Chief Mann.
„Geht schon.“ Als sie jetzt näher kam, konnte Cynna sehen, dass ihre Augen rot und verquollen waren. „Ich kann nicht glauben, dass er tot ist. Er war so … Er war so stolz.“ Ihre Hand legte sich auf ihren runden Bauch, und ihre Unterlippe zitterte.
„Komm, Liebling“, sagte Sabra und legte einen Arm um Merilees schmale Schultern. „Beschäftigung hilft, und ich habe ein Scheffel Äpfel, die geschält werden wollen.“
Während die beiden Frauen die Eingangshalle verließen, wandte Victor Frey sich an den Chief. „Ich dachte, wir
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