Wolf Shadow Bd. 4 - Finstere Begierde
selbst eine Ordnung zu geben. Dafür braucht es den Verstand seines Besitzers. Wenn jedoch der Träger nicht der rechtmäßige ist, kann kein dauerhaftes Band entstehen. Ohne dieses Band verschlingt es den Verstand desjenigen, der es in seinem Besitz hat.“
„Madame“, sagte Ruben Brooks langsam, „Ihr wollt uns zu verstehen geben, dass das Medaillon eine Form von Bewusstsein hat, das gestört ist.“
„So ist es. In dem Moment, als das Band zwischen Medaillon und Kanzler zerriss, wurde es wahnsinnig.“
18
Als sie die Sitzung verließen, war es bereits spät. Im Kanzleramt waren alle Lichter gedämpft, als wären sie mit einem Dimmer verbunden. Draußen läuteten Glocken. Einer ihrer Begleiter – drei Gnome, von denen keiner ein Rat war – erklärte, dass die Glocken die „Stunden“ anzeigten, die natürlich nicht mit Erdstunden vergleichbar waren. Bei jedem Läuten war ein Zehntel des Schlaf-Wach-Zyklus vergangen, der in Edge als ein Tag gezählt wurde.
Das durch die Wände gedämpfte Geräusch wurde immer leiser, je tiefer sie in das Labyrinth der Flure eindrangen, und war, als sie den Flügel mit den Gästequartieren schließlich erreicht hatten, nicht mehr zu hören. Dort verließen sie ihre Begleiter, nachdem sie ihnen höflich einen guten Appetit und eine gute Nacht gewünscht hatten.
Gan hatte sie nicht begleitet. Die Erste Rätin hatte sie zu sprechen gewünscht, und die kleine Noch-nicht-Gnomin war mit ihr mitgegangen, am ganzen Körper zitternd wie eine strenggläubige Katholikin, der eine persönliche Audienz beim Papst gewährt worden war. Cullen schob Rubens Rollstuhl, und Cynna und McClosky folgten ihnen. Er sah aus, als sei er mit seinen Gedanken ganz woanders.
Cynna stellte ihre eigenen Überlegungen an. „Haben sie uns dieses Mal die Wahrheit gesagt?“
„Größtenteils, nehme ich an“, sagte Ruben. „Gnome mögen es vorziehen, ihre Gesprächspartner in die Irre zu führen oder Ausflüchte zu suchen, aber ich glaube, die Erste Ehrenwerte Rätin würde uns nicht in wesentlichen Punkten anlügen, wenn so viel davon abhängt, dass wir das Medaillon finden.“
„Dann wird also Bilbo unser Reisebegleiter sein, wenn wir uns auf den Weg machen.“ Warum musste ausgerechnet er es sein, der von allen Gnomen der am besten Geeignete war, das Band mit dem Medaillon zu knüpfen? Möglicherweise empfand er genauso, wenn er daran dachte, was mit ihm passierte, falls das Medaillon der Meinung war, er sei seiner doch nicht würdig.
„Auf den Weg machen?“, sagte McClosky. „Glauben Sie, es stimmt, dass es nicht mehr in der Stadt ist?“
Cynna zuckte die Achseln. „Das werde ich wohl morgen herausfinden.“
Sie hatten eine Stelle erreicht, von der drei Flure und eine Treppe abzweigten. Cullen blieb stehen. „Ich hoffe, jemand hat aufgepasst“, sagte er, „sonst muss ich mich wandeln und uns unseren Weg erschnüffeln.“
„Hier entlang“, sagte Cynna und schlug den Flur zu ihrer Rechten ein.
„Sie verlaufen sich wohl nie!“, sagte McClosky zu ihr.
„Na ja, doch, wenn ich nicht aufpasse. Ich kenne zwar die Richtung, aber deshalb weiß ich nicht unbedingt, welcher Weg oder welcher Flur mich dorthin führt. Oder wenn ich kein Muster von meinem Ziel habe.“
Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht, wie Ihre Gabe funktioniert.“ Dann platzte es aus ihm heraus, als hätte er die Worte seit Stunden zurückgehalten: „Werden Sie es schaffen? Niemand hat Sie das gefragt. Alle gehen davon aus, dass Sie dieses Medaillon finden können. Stimmt das?“
„Wahrscheinlich. Ich bin recht gut.“ Ihr wurde auf einmal klar, dass McClosky der Einzige von ihnen war, der keine Ahnung hatte, wie sie vorging. Da sein Leben davon abhing, musste sie es ihm wohl erklären. „Morgen mache ich mich an die Arbeit. Ich brauche ein Muster des Medaillons, und je besser das Muster ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich es finde. In diesem Fall bin ich ganz zuversichtlich. Ein magisches Artefakt, das so mächtig ist wie unser kleiner Freund, müsste eigentlich deutliche Spuren hinterlassen.“
„Wie geht Ihre Arbeit des Sichtens vor sich? Dauert es lange?“
„Ich beginne mit Hilfe eines Rituals, das eigentlich nicht zu meiner Gabe gehört. Aber ich habe von den Besten gelernt – jemandem, der selber Muster herstellen kann.“ Cynna hatte nicht gewusst, dass dies Jiris Gabe gewesen war, damals, als sie ihr Lehrling gewesen war, aber das musste sie ihm jetzt nicht erklären. „Das
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