Wolf Shadow Bd. 5 - Tödliche Versprechen
lernte er dazu, aber er hatte noch einen langen Weg vor sich. Aber Lily würde ihm dabei helfen – indem sie ihn immer wieder darauf hinwies, wenn er Mist baute, zum Beispiel.
Rule grinste, als er das Kaffeepulver abmaß und Wasser in die Kanne füllte. Er mochte den Duft und die Vertrautheit des kleinen Rituals.
Und Tobys Rituale? Würden sie sich nun ändern?
Ein paar kannte er bereits – dass man ihm abends im Bett vorlesen und ihn zudecken musste. Die Art, wie Toby sich die Zähne putzte, bevor er sich das Gesicht wusch. Die korrekte Abfolge der Zutaten eines Erdnussbutter-Marmeladen-Sandwich. Einen Teil der Sommerferien hatte Toby immer bei seinem Vater verbracht und manchmal – zu selten – auch ein Wochenende während der Schulzeit. Aber ein Vollzeitvater zu sein war etwas anderes. Er hatte noch viel zu lernen.
Er konnte es kaum erwarten, dass der Unterricht begann.
Während der Kaffee durchlief und seinen Duft durch das Haus trug, begab sich Rule in das Zimmer, in dem der einzige Fernseher des Hauses stand. Er musste eine Entscheidung treffen.
Es würde kaum möglich sein, die Anhörung vor den Pressegeiern geheim zu halten. Selbst wenn die Richterin und die diversen Justizangestellten, die Bescheid wussten, nichts verlauten ließen, hatte Mrs Asteglio sicher ihren Freunden und Nachbarn davon erzählt. Wer Tobys Vater war, hatte sie ihnen sicher nicht gesagt, aber dass sie bald ihren Enkelsohn verlieren würde.
Die Presse bekam man am besten in den Griff, indem man ihr ein bisschen entgegenkam. Was wäre, wenn Rule den Reportern sagte, warum er hier war?
Nicht den Hauptgrund. Er würde ihnen nichts von Toby oder dem Clan der Leidolf erzählen.
Die Menschen wussten wenig über Lupus-Clans und die Kräfte, die sie zusammenhielt. So sollte es auch bleiben. Die Presse nannte Rule den Nokolai-Prinzen, doch Rules Stellung, wenngleich sie zum Teil ererbt war, hatte wenig mit der eines Prinzen zu tun. Rule war der Lu Nuncio des Clans der Nokolai und nun schon seit vielen Jahren designierter Thronfolger, was bedeutete, dass er diesen Teil der Clanmacht in sich trug. Sein Vater bedaß den anderen Teil, selbstverständlich den größeren, denn die Clanmacht machte ihn zum Rho , genauso wie sie die Nokolai zu einem Clan machte … und damit zu mehr als einem wilden Rudel.
Von der Clanmacht würde Rule der Presse nichts sagen. Aber von den Clans. Konkurrierende Clans, die ihre Meinungsverschiedenheiten beilegten: Darauf würde sich die Presse stürzen. Langsam verzog sich sein Gesicht zu einem Lächeln.
Er überlegte das Für und Wider einer solchen Entscheidung. Dass sie weitreichende Konsequenzen haben würde, war ihm bewusst. Aber er würde es trotzdem tun, denn so würde er nicht nur Toby schützen, sondern obendrein seinem Clan noch eine gute Presse verschaffen können.
Aber durfte er es überhaupt? Er würde die Existenz des Leidolf-Clans öffentlich machen, und dass das gegen seinen Willen war, hatte der Rho der Leidolf sehr deutlich gemacht – als er noch bei Bewusstsein und bei Verstand gewesen war.
Rule trat vor die Glasschiebetür und sah hinaus in das üppige Grün des kleinen Gartens. Er musste bald zu einer Entscheidung kommen. Wenn er diesen Weg gehen wollte, musste er sofort aktiv werden. Alex Thibideux, den Lu Nuncio der Leidolf anrufen. Und seinen Vater, seinen Rho. Nicht weil er ihm Gehorsam schuldete. Denn in dieser Sache hatte der Rho keine Entscheidungsgewalt. Hier ging es um Fragen, die allein den Clan der Leidolf betrafen.
Rules Lippen zuckten, als er die Ironie erkannte, die darin lag. Leidolf, die Erbfeinde seines Clans, die noch nicht einmal vor einem Jahr versucht hatten, seinen Vater zu ermorden. Leidolf, deren Rho im Koma lag, im Sterben, nachdem er das Schicksal herausgefordert und verloren hatte, als er im vergangenen Dezember versucht hatte, Rule zu töten.
Stattdessen hatte er Rule zu seinem Thronfolger gemacht.
Normalerweise hatte der Thronfolger eines Clans wenig Autorität – aber normalerweise war der Thronfolger auch der Lu Nuncio. Ein Lu Nuncio setzte die Anweisungen seines Rhos um und konnte manchmal auch an seiner Stelle sprechen – weil ein Lu Nuncio nie den Entscheidungen des Rhos entgegenhandelte. Niemals.
Aber ein Thronfolger, der nicht auch der Lu Nuncio war …
Nein, entschied Rule. Er würde sich nicht an Victors Politik halten. Er war nicht der Lu Nuncio der Leidolf. Victor Frey war nicht sein Rho, und er schuldete ihm keinen Gehorsam.
Die andere
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