Wolf Shadow Bd. 5 - Tödliche Versprechen
schluckte. »Ja, richtig. Ich denke, dass er oder sie es nicht konnte. Rule ist nicht einfach zu töten, und der zweite Täter hatte vielleicht nicht genügend Kraft. Wenn die Todesmagie unter mehreren Teilnehmern an dem Ritual aufgeteilt wurde, vielleicht …« Sie brach ab und seufzte. »Das sind viele Eventualitäten.« Sie musste dringend mit Cullen sprechen. Er konnte ihr sagen, was möglich war und was nicht, aber … Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Mist. Ich bin zu spät.«
»Dann gehen Sie, und ich gehe Eier essen.«
Lily dankte ihm für seine Geduld, legte ihr Telefon weg, warf die Papiertüte mit dem Junkfood fort und setzte aus ihrem Parkplatz vor der Schule zurück.
Religion. Es gefiel ihr gar nicht, wie alle ihre Fälle immer wieder darauf hinausliefen. Nicht dass sie per se etwas gegen Religion gehabt hätte … Oh, sei ehrlich, sagte sie sich. Religion war ein heikles Thema für sie. Ihr Vater war Buddhist, ihre Mutter Christin. Ihre ganze Kindheit hindurch hatten sie einen Kleinkrieg über die richtige Glaubensrichtung geführt. Als Folge war sie … nun, nicht gerade unvoreingenommen. Für andere Leute mochte Religion etwas Gutes sein. Sie selbst bevorzugte es, nicht darüber nachdenken zu müssen.
Lily bog auf den Parkplatz des Büros des Sheriffs ein. Karonski hatte wahrscheinlich mit dem meisten, was er gesagt hatte, recht gehabt, aber eines wussten sie doch über Seelen. Zumindest wusste Lily es. Seelen existierten. Das war mehr, als sie die ersten achtundzwanzig Jahre ihres Lebens gewusst hatte, deshalb hielt sie dieses Faktum für besonders wichtig.
Vor allem, da sie erst hatte sterben müssen, um diese Erfahrung zu machen. Lily stieg aus dem luxuriösen Auto, machte die Tür zu und schloss ab. Und gab sich alle Mühe, nicht daran zu denken.
7
Im frischen Licht eines frühen Sommermorgens schwebte etwas auf der breiten Veranda des zweistöckigen Hauses neben der Tür. Es wartete. Zwar erinnerte es sich an Wände und daran, dass Türen geöffnet werden mussten, aber nicht daran, wie.
Der Mann war dort drinnen im Haus. Das wusste es, ohne zu wissen, woher, und ohne sich über dieses Wissen zu wundern. Fragen, Neugier, Gedanken … nichts hatte lange genug Bestand in seiner Welt, die immer wieder aufs Neue auseinanderbrach.
Kalt, kalt. So kalt. Es wusste, wie es sich wärmen konnte; vage erinnerte es sich an dieses herrliche Gefühl, die reine Freude an der Wärme. Einen kurzen Moment lang hatte es gedacht, es sei wieder heil. Frei. Einen kurzen Moment lang hatte es sich erinnert .
Irgendetwas war schiefgegangen. Aber was? Es wusste es nicht, konnte den Gedanken nicht festhalten oder die Erinnerung, nicht, wenn immer wieder Teile von ihm abbrachen, wenn es splitterte wie Eis unter Druck. Aber es wusste – ohne zu wissen, warum –, dass es dieses Haus verlassen musste, damit ihm wieder warm wurde.
Es wollte aber nicht gehen. Der Mann war dort drinnen. Der Mann, der es wusste. Es wollte, musste hier warten. Darauf, dass der Mann aus der Tür trat. Wenn es ihm wieder näher kommen könnte, würde es vielleicht erfahren …
Es erinnerte sich nicht mehr daran, was fehlte. Was es unbedingt wissen musste.
Der gequälte Schrei war lautlos, voll tiefer Verzweiflung, die fast zu groß war für sein zerstörtes Wesen. Es erzitterte und vergaß Türen und Häuser und was immer es an diesem Ort gehalten hatte.
In der dunklen Tiefe seines zersplitterten Selbst hörte es die Stimme.
Vielleicht hatte sie es schon die ganze Zeit über gerufen, vielleicht aber auch erst seit Kurzem. Von der Stimme kannte es nur Hass und Angst und Versprechen.
Ihr Ruf würde lauter werden, bis es nicht mehr widerstehen konnte. Es musste fliehen. Es musste sich wärmen. Wenn ihm erst einmal wieder warm war, würde es die Stimme nicht mehr hören, und dann würde es sich wieder erinnern können … Wärme würde ihm bestimmt helfen, sich zu erinnern. Dann würde es zu dem Mann gehen, der es wusste. Vielleicht würde es den Mann fragen können … was immer es so dringend wissen musste.
Wenn ihm wieder warm war. Ja.
Es huschte fort von dem Haus. Suchte. Widerstand dem Drang, auf die Stimme zu horchen. Wärme würde es beschützen, es stärken – ja, daran erinnerte es sich: Wenn ihm warm genug war, verstummte die Stimme.
Wenn ihm wieder warm genug war, würde es ihm gut gehen. Ja.
Es glitt die Straße hinunter – verloren, zerbrochen, ausgehungert. Es wurde schneller. Überall waren warme
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