Wolf Shadow Bd. 5 - Tödliche Versprechen
–, in dem Stockwerk direkt darüber zu arbeiten?
Es muss ein verdammt guter Blockierzauber sein, dachte sie.
Der Vernehmungsraum war ganz in Beige gestrichen. Darin befanden sich ein Tisch, zwei Stühle und ein Mann in einem orangefarbenen Overall und Handschellen. Er trug keine Schuhe.
Aus der Akte wusste Lily, dass Roy Don eins achtundsechzig groß, fünfundachtzig Kilo schwer und weiß war, braune Haare und braune Augen hatte und letzten Dezember neununddreißig geworden war. Das braune Haar wurde bereits dünner, die braune Iris seiner Augen war rot gerändert, und die fünfundachtzig Kilo waren vor allem auf die Muskeln seines Oberkörpers zurückzuführen. Seine Schultern waren überproportional breit, sein Rumpf lang und kräftig, seine Hüften mager und seine Beine kurz.
Er sah aus wie ein Gorilla mit schütterem Haar und schlimmen Allergien.
Die Staatsanwältin war nicht mitgekommen. Sie hatte es vorgezogen, das Ganze durch den Einwegspiegel zu beobachten, der sich rechts neben der Tür befand. Deacon dagegen war bei der Vernehmung anwesend. Er behauptete, Meacham sei labil und neige zu Gewaltausbrüchen. Deswegen wollte er kein Risiko eingehen. Seine Vorsicht schien zwar ein wenig übertrieben, denn der Gefangene wurde von zwei jungen, bulligen Wachen begleitet – der eine hispanisch, der andere der dunkelste Afroamerikaner, den Lily je gesehen hatte. Aber sie war verständlich. Wie peinlich, wenn ein Gefangener, für den er die Verantwortung hatte, einen Kollegen vom FBI verletzen würde!
Lily war erstaunt über Kessenblaums sanften Tonfall. »Hallo, Roy Don. Werden Sie gut behandelt?«
»Hallo.« Meachams Blick schoss zwischen ihnen hin und her, bevor er ihn auf Kessenblaum richtete. Er hatte eine tiefe Stimme, die zu seiner tonnenförmigen Brust passte. Sie fühlte sich an Rules Vater, Isen, erinnert. »Was ist denn jetzt schon wieder? Haben Sie endlich diese Arschlöcher überreden können, mich nach Hause zu lassen? Hoffentlich haben Sie mir dieses Mal Zigaretten mitgebracht. In diesem Drecksloch braucht man was zu rauchen.«
Was er sagte, war normal. Die Art, wie er es sagte, nicht. Die Worte rutschten ineinander oder krochen seltsam langsam dahin, als habe er den normalen Sprachrhythmus verlernt.
Kessenblaum schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, heute kann ich Sie noch nicht rausholen. Das ist Agent Yu vom FBI. Sie möchte mit Ihnen sprechen.«
Die braunen, blutunterlaufenen Augen richteten sich auf Lily. Er blinzelte schnell, wie um ihr per Morse einen Hilferuf zu schicken. »FBI. Scheiße. Ich will nicht mit dem FBI reden … Warum sind Sie hier? Sie sind viel zu klein. Sehen gar nicht wie eine FBI-Agentin aus.«
Lily trat auf ihn zu. »Haben Sie Probleme mit den Augen, Mr Meacham?«
»Mit meinen Augen?« Er schien verblüfft. »Sie sollten diese Arschlöcher festnehmen, weil sie mich hier eingesperrt haben. Ohne Grund. Ich muss nach Hause. Becky macht sich bestimmt Sorgen, wenn ich so lange weg bin.« Er runzelte immer noch die Stirn und blinzelte. »Wie lange bin ich überhaupt schon hier?«
»Vier Tage.« Lily zog sich den zweiten Stuhl heran und setzte sich Meacham gegenüber an den Tisch. Man hatte ihm die Handschellen vor dem Bauch angelegt, so wie sie es erbeten hatte. Jetzt hatte er die Hände auf den Tisch gelegt, verschränkte die Finger und löste sie wieder, rastlos. »Sicher kommt es Ihnen länger vor.«
»Länger. Ja.« Und wieder blinzelte er und blinzelte. »Becky kann gut mit den Kindern umgehen, aber sie brauchen einen Mann im Haus. Ich muss nach Hause, mich um sie kümmern.«
Man hatte es ihm gesagt. Mehr als einmal hatte man ihm gesagt, dass seine Frau und seine Kinder tot waren, dass er in Haft war, weil man ihn des Mordes an ihnen verdächtigte. Trotzdem glaubte Lily nicht, dass er schauspielerte. Viel war gesagt worden über die Macht des Glaubens, aber auch der Unglaube war machtvoll. Meacham war nicht der erste Mörder, der nicht mit seiner Tat klarkam und sich an die Realitätsverweigerung klammerte wie ein Ertrinkender an einen dürren Ast.
»Ich nehme an, Sie wären die ganz gerne los, was?« Sie deutete mit dem Kopf auf seine Hände, die er immer noch unruhig rang.
»Keine Ahnung, wovon Sie reden.« Er senkte nicht den Blick.
»Ihre Handschellen.«
Er hörte auf zu blinzeln. »Die sind nicht von mir.«
»Richtig, sie gehören der Dienststelle des Sheriffs, aber sie sind an Ihren Händen.« Sie lächelte vorsichtig, als sie nach einer der
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