Wolf Shadow Bd. 7 - Verbotene Pfade
trotzdem zu tun. Was sie noch wütender machte.
Rule sprach mit Alex über Cobbs Beerdigung, was nicht dasselbe war wie die Zeremonie – das firnam – , zu der sie eingeladen worden war. Beerdigungen fanden im Allgemeinen im engsten Familienkreis statt. Doch beides, die Beerdigung und das firnam , würden warten müssen – das eine, bis die Leiche freigegeben würde, das andere, bis Lily kräftig genug war, um nach North Carolina zurückzufliegen.
Hatte Rule gewusst, dass das passieren würde? Hatte er es erwartet?
Vielleicht. Cobb hatte wegen Selbstmordgefährdung unter Beobachtung gestanden. Das war die übliche Vorgehensweise bei einem Lupus-Häftling und mit ein Grund, warum in seiner Zelle nicht einmal eine Pritsche gestanden hatte. Lily hatte nicht gewusst, wie einfach es für einen Lupus war, sich selbst zu töten, auch wenn ihm keines der Instrumente, die ein Mensch dazu brauchen würde, zur Verfügung stand.
Doch Rule hatte es gewusst. Er musste es gewusst haben.
Sie hatte geglaubt, Cobb würde, nachdem Rule ihm seine Bitte nicht sofort erfüllt hatte, darauf warten, dass jemand kam, um ihm den ehrenvollen Tod zu gewähren, den er sich so wünschte. Und darauf hätte er lange warten können, denn Rule hätte Lilys Hilfe gebraucht, um jemandem Zutritt zu verschaffen. Das Warten hätte ihn in den Wahnsinn getrieben.
Stattdessen hatte Rule mit seinem Schweigen die Tür für Cobb geöffnet. Rule glaubte, dass Cobb aufgrund eines plötzlich auftretenden, unkontrollierbaren Defektes getötet hatte und dass er deswegen nicht verantwortlich war. In seinen Augen war Cobb nicht schuldig und verdiente die Gnade eines ehrenhaften Todes. Als Cobb sich selbst das Leben genommen hatte, ohne die Erlaubnis seines Rhos, hatte er dieses Recht verloren.
Lily blickte zu ihrem Geliebten. Ihrem Gefährten. Ihrem Freund. Müdigkeit und Sorge gruben Furchen entlang seines Mundes, als er dem lauschte, was Alex ihm zu sagen hatte. Sie griff nach seiner freien Hand.
Sein Blick flog zu ihr. Sie sah Überraschung darin, eine Frage. Hatte er erwartet, dass sie böse sein würde, wenn sie begriff, dass er Cobbs Tod hätte verhindern können? Vermutlich. In letzter Zeit war sie oft böse gewesen. Lily drückte seine Hand und schloss die Augen.
Das alles setzte ihr zu. Dass sie verletzt war, dass sie von einem Fall abgezogen wurde, der ihr wichtig war, das sie nichts tun konnte. Gar nichts. Jemand hatte beinahe Ruben getötet. LeBron war tot. Cobb hatte sich selbst umgebracht. Und sie konnte nichts dagegen tun.
Wenn sie die Augen schloss, war da nur noch Rules leises Murmeln, das Brennen ihrer Wut … und ein Unbehagen, das quälende Gefühl von Ungerechtigkeit.
Gestern Nacht hatte Lily wieder einen Traum gehabt, aber nicht von Helen. Von Sarah.
Sie und Sarah waren beste Freundinnen gewesen. Schon im Kindergarten hatten sie sich gefunden und waren bis zur dritten Klasse unzertrennlich … als sie ein letztes Mal etwas Cooles zusammen getan hatten. Sie hatten die Schule geschwänzt.
Und dann waren sie von einem Monster entführt worden.
Das Monster hatte ein menschliches Gesicht und einen Buick mit einem großen Kofferraum gefahren. Dort hinein hatte er sie gesperrt, in den Kofferraum. Sie und Sarah waren zum Strand gegangen, nur sie beide. Es war ihr großes Abenteuer gewesen, das sie sorgfältig geplant hatten, denn wenn man erwischt wurde, machte es ja keinen Spaß mehr. Sie waren beide brave Mädchen. Sarah war ein wenig übermütiger als Lily, aber keine von beiden hatte schon einmal die Schule geschwänzt.
Danach schwänzte Lily nie wieder die Schule. Und Sarah tat nie wieder irgendetwas.
Das Monster hatte auch einen Namen, einen ganz normalen Namen: George Anderson. George Anderson war stundenlang ziellos herumgefahren, mit ihnen in dem großen Kofferraum, und hatte darauf gewartet, dass es Nacht wurde. Im Schutz der Dunkelheit trug er sie dann ins Haus, eine nach der anderen. Die niedliche blonde, blauäugige Sarah hatte George Anderson als Erste vergewaltigt. Weil sie nicht aufhören wollte zu weinen, würgte er sie, damit sie still war. Als sie plötzlich tot war, war er überrascht, durcheinander, wie ein kleiner Junge, der Kekse stibitzen wollte und aus Versehen das Keksglas zerbrochen hatte. Uups.
Ein Cop hatte Lily gerettet. Er hatte George Andersons Haustür eingetreten. Eine Joggerin hatte gesehen, wie das Monster sie in seinen Kofferraum gesperrt hatte, und sich sogar das Nummernschild des Buick notieren
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