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Wolf unter Wölfen

Wolf unter Wölfen

Titel: Wolf unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Fallada
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Vernehmung hier im Präsidium, ziemlich genau, was man ihr vorwarf. Sie wußte, daß diese Beschuldigungen zum Teil veraltet, zum Teil unrichtig waren. Aber sie wußte nicht, was für sie dabei herausschauen würde. Es war möglich, daß es Arbeitshaus gab oder den Kontrollschein, oder Gefängnis. Wochenoder Monate. Das alles lag in Händen von Menschen, die ihr so fremd waren wie Menschen einer andern Welt, zu denen man nicht sprechen kann.
    Sie war gleich zum Arzt geführt worden. Aber da standen sie in endloser Reihe vor der Tür, und schließlich hieß es: »Keine Vorführungen mehr! Der Medizinalrat ist nach Haus gegangen.«
    So war Petra wieder in ihre Zelle geführt worden, und sie hatte gefunden, daß dort unterdes das Abendessen ausgegeben war und daß die andern ihren Anteil aufgegessen hatten. Es machte ihr nicht viel aus, sie fand, sie hatte vorhin auf der Wache erst einmal genug gegessen. Nur mit halbem Ohr hörte sie auf das Gezänke der andern, die sich umschichtig beschuldigten. Es konnte schon stimmen, was die dicke Frau in dem unteren Bett (die älteste Zelleninsassin, schon seit zwei Tagen hier) sagte, daß die Hühnerweihe ihr das Essen gestohlen hatte.
    Aber es war gleich. Es wäre besser gewesen, sie schwiegen davon. Nun wurde ja die Hühnerweihe auch wieder wild und fiel mit Beschimpfungen und Geschrei über Petra her. Es war nicht angenehm, daß grade sie in dieselbe Zelle mit der Weihe gekommen war, aber auch das mußte ertragen werden. Das Mädchen würde es auch nicht lange aushalten mit diesem Geschrei und Getobe. Als sie in die Zelle gekommen war, war sie noch schlapp gewesen wie ein nasses Handtuch. Aber jetzt war sie wieder unruhig; immer von neuem drang sie auf Petra ein und hätte sie wohl am liebsten geschlagen. Nur hatte sie nicht mehr soviel Kraft wie früher, Alkohol und Kokain hatten ihr Werk getan, Petra konnte sie sich mit einer Hand vom Leibe halten. Sie antwortete ihr überhaupt nicht, trotzdem schrie die Hühnerweihe immer wilder.
    Das war lästig. Unter diesen ständigen Angriffen und diesem Geschrei konnte Petra nicht nachdenken, wie sie gerne getan hätte. Da war die Sache mit Wolfgang: kam er heute noch, kam er überhaupt? Sie wußte ja jetzt, was sie von ihr glaubten, sicher würde man ihm das auf der Wache erzählen –und was würde er nun glauben? Setzte sie sich an seine Stelle, sie wäre um so schneller gekommen, aber bei ihm konnte man es nicht wissen.
    Petra sah sich in der Zelle um. Gerne hätte sie die alte, grauhaarige Frau auf dem Bett nach den Besuchszeiten gefragt, aber die Hühnerweihe schrie immer schlimmer. Die andern schien es freilich gar nicht zu stören, nicht einmal zu interessieren. Die beiden braunschwarzen Zigeunerinnen, mit ihren frechen, unruhigen Vogelaugen, hockten beieinander in einer Ecke auf der Matratze und wisperten halblaut mit vielen raschen Fingergebärden, sie sahen niemanden sonst in der Zelle an. Das lange, blasse Mädchen, die das andere untere Bett hatte, war schon unter die Decke gekrochen: man sah nur ihre Schultern, die zuckten. Sie weinte wohl. – Eine kleine Dicke hatte sich auf den Schemel gesetzt und bohrte mit finsterem Gesicht in ihrer Nase herum.
    Jetzt sah die grauhaarige Frau, die auf ihrer Bettkante saß, hoch und sagte ärgerlich: »Halt doch endlich deine Fresse, du dummes Aas! – Hau ihr ein paar aufs Maul, Kittchen, daß sie Zähne spuckt!«
    Mit der Anrede »Kittchen« war Petra gemeint. Die alte Frau nannte sie wohl darum so, weil sie als einzige der Zellenbewohnerinnen die blaue Gefängniskluft trug. Man hatte sie bei der Einlieferung sofort eingekleidet.
    Aber Petra mochte die Hühnerweihe nicht schlagen. Es hatte ja keinen Sinn, sie war vor Gier nach Kokain oder Alkohol von Sinnen. Ein paarmal hatte die Nachtwache schon gegen die Zellentür geklopft und hatte Ruhe geboten. Dann war die Hühnerweihe stets rasch an die Tür gesprungen und hatte gebettelt: »Ach, bitte, gebt mir doch einen Schnaps! Einen einzigen, kleinen! Ihr könnt’s doch, Jungens! Ihr kippt doch auch mal gerne einen! Ach, bitte, gebt mir doch einen, Jungens …«
    Doch die Schritte der Nachtwache waren ohne Antwort verhallt, höchstens, daß einer halblaut lachte. Dann hatte die Hühnerweihe einen Wutausbruch bekommen, sie hatte mitden Fäusten gegen die Eisentür getrommelt und hatte den Wärtern Beschimpfungen nachgeschrien.
    Aber langsam veränderte sich die Hühnerweihe. Wie die Zeit vorrückte, der Himmel hinter dem Zellenfenster

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