Wolf unter Wölfen
ist, daß das gnädige Fräulein den Herrn Rittmeister überrascht. Es war ja nicht recht von uns, gnädige Frau, daß wir es heimlich tun wollten … Aber ich bin es gewesen, der es vorgeschlagen hat, daß wir warten, bis die gnädige Frau schlafen geht, weil wir Vollmond haben, und es ist Büchsenlicht genug, sagt Herr Kniebusch …«
»Nun hören Sie aber endlich mit Ihrem schrecklichen Gedröhne auf, Hubert!« sagt die gnädige Frau, merklich erleichtert. »Sie sind ein gräßlicher Mensch. Tagelang wünscht man sich: wenn er doch endlich mal den Mund auftäte! Aber wenn Sie ihn dann aufmachen, hat man bloß den einen Wunsch, daß Sie ihn recht schnell wieder schließen. – Und zu den Mädchen könnten Sie auch etwas netter sein, Hubert, davon fällt Ihnen kein Stein aus Ihrer Krone!«
»Jawohl«, sagt Diener Räder unbewegt.
»Und du, Weio«, fährt die gnädige Frau in ihrer Strafpredigt fort, bist eine rechte Gans. Dies hättest du mir ruhig erzählen dürfen, die Überraschung für Papa wäre dadurch nicht kleiner geworden. Eigentlich sollte ich dich zur Strafe nicht gehen lassen, aber wenn der Bock nur diesen Abend in der Serradella ist … Sie gehen ihr aber keinen Schritt von derSeite, Kniebusch … Gott, was haben Sie denn wieder, Kniebusch, was weinen Sie denn –!?!«
»Ach, es ist ja bloß der Schreck, gnädige Frau, der Schreck, wie Sie in der Tür standen«, jammerte der alte Mann. »Und ich kann es dann nicht halten. Aber es war ein freudiger Schreck, es sind Freudentränen …«
»Ich denke, Hubert«, sagte die gnädige Frau trocken, »Sie machen sich auch ein bißchen zurecht und gehen mit. Sonst, wenn sie im Wald einen Holzdieb treffen, bricht unser guter Kniebusch auch in Freudentränen aus, und Weio kann dann sehen, wie sie allein fertig wird …«
»Ach Mama«, sagte Weio, »ich hab vor Holz- und Wilddieben keine Angst.«
»Du solltest lieber vor vielen Dingen Angst haben, meine liebe Violet«, sagte Frau von Prackwitz energisch. »Vor allen Dingen solltest du Angst vor Heimlichkeiten haben. – Also, es bleibt dabei, Hubert kommt mit.«
»Jawohl, Mama«, sagte Weio gehorsam. »Wartet bloß einen Augenblick, ich hab mich gleich umgezogen.«
Damit lief sie nach oben, die gnädige Frau aber war mit den beiden Männern allein und wusch ihnen wegen der »Heimlichkeiten mit dem Kinde, der Weio« gehörig den Kopf. Sie tat es sehr gründlich, aber mit dem Ergebnis war sie nicht ganz zufrieden. Als rechte Frau hatte sie nämlich das untrügliche Gefühl, daß irgend etwas nicht stimmte. Da die Weio aber noch ein rechtes Kind war, würde es am Ende so schlimm nicht sein, und sie beruhigte sich bei dem Gedanken, daß Weios Untaten sich immer noch ziemlich harmlos aufgeklärt hatten. Ihre schlimmste Untat war bisher das Verschandeln ihres schönen langen Haars zu einem Bubikopf gewesen. Und ein so schlimmes Verbrechen läßt sich gottlob nur einmal begehen.
4
Die Frauenzelle im Polizeigefängnis Alexanderplatz ist völlig überfüllt. Als dieses Gefängnis erbaut, als die Zelle fertig wurde, malte man an die grüne, eisenbeschlagene Tür auch den Luftinhalt der Zelle: soundso viel Kubikmeter, schrieb man daran, völlig ausreichend für eine Insassin. Daß man dann noch ein zweites Bett hineingesetzt hatte, das war schon sehr lange her; zwei Betten in der Zelle war auch für die ältesten Beamten eine Normalbelegung.
Dann aber kam die Inflation. Die Flut der Festgenommenen schwoll und schwoll. Man stellte über die zwei Betten zwei weitere Betten und verdoppelte so mit einem Schlag die Belegungsfähigkeit des Gefängnisses.
Aber auch das reichte schon längst nicht mehr aus. Nun wurden sie, wie sie in endlosem Zuge Tag für Tag in den grünen »Lumpensammlern« der Polizei ankamen, wahllos in die Zellen gestopft. Abends warf man dann ein paar Matratzen, ein paar Wolldecken hinterher: nun seht, wie ihr euch einrichtet!
Selten hatte sich Petra Ledig verlassener, einsamer gefühlt, als in der überfüllten Zelle des Gefängnisses. Es wollte und wollte nicht dunkel werden.
Wohl gehörte sie nicht zu jenen Mädchen aus gesicherten Kreisen, denen die Tatsache, im Gefängnis zu sein, Zusammenbruch und Schande bedeutete. Sie lebte im Alltag, sie wußte, daß dies Leben eine schwer zu übersehende Sache blieb für einen, der arm und freundlos war, der nie wußte, was einem noch geschehen konnte, aus welcher Ecke der Unheilswind nun hervorbrach.
Sie wußte, nach einer zweiten, sehr flüchtigen
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