Wolf unter Wölfen
bedeuten bestimmt etwas; wer sie auszulegen versteht, wird viel Gold damit gewinnen!
Der alte Geheimrat mag ihn auslachen. So schlau der alte Herr ist, von diesen geheimen Dingen versteht er nichts! Erglaubt, was ihm die Leute auf den Banken erzählen, er glaubt, was in der Zeitung steht. Der alte Elias ist nicht so gläubig – dafür ist er heute auch schon reicher als sein Herr, er besitzt weit über hunderttausend Mark! Goldgeld! Geld wie Gold!
Heute ist er sehr glücklich: drei ganz neue Scheine hat er unter seinen neuen Ankäufen. Darunter einen aus dem Jahre 1876. Er hat nie gewußt, daß es so alte Tausendmarkscheine gibt, sein ältester war bisher aus dem Jahre 1884. Oh, er wird es sich sehr überlegen, ob er einmal, wenn es eines Tages soweit ist, diese Scheine gegen Gold einwechseln wird! Sie sind so schön, diese Scheine mit den feierlichen Gestalten, die, wie er gehört hat, Industrie, Handel und Verkehr bedeuten.
»Industrie, Handel und Verkehr«, flüstert er und starrt die Scheine ergriffen an.
Alles, was das Volk arbeitet, überlegt er. Nur die Landwirtschaft ist nicht dabei – und das ist schade!
Was soll er mit Gold? Für über hunderttausend Mark Gold kann er nicht mit sich herumtragen. Um Gold muß er sich bloß ängstigen – aber dieses Papier ist so schön!
Er ist glücklich, der alte Diener! Schein um Schein wird sorgfältig zusammengefaltet, ehe er in die Tasche zurückwandert. Die Banknotenpressen in Berlin jagen und hetzen das Volk in einen immer quälenderen Rausch – ihm haben sie Glück geschenkt, großes Glück! Schöne Scheine!! –
Der Glühwein hatte seine Wirkung getan. Frischer saß Frau von Teschow zwischen den Kissen, zu ihrer Freundin sagte sie: »Wenn du mir etwas vorlesen würdest, Jutta?«
»Aus der Bibel –?« fragte Fräulein von Kuckhoff bereitwillig.
Doch das war heute abend kein guter Vorschlag. Die Abendandacht mit der Bekehrung der Sünderin war mißglückt. Die Bibel war also samt ihrem Gott ein wenig in Ungnade.
»Nein, nein, Jutta – wir müssen doch endlich mit dem Goethe weiterkommen!«
»Gerne, Belinde. Bitte, die Schlüssel!«
Fräulein von Kuckhoff bekam die Schlüssel. Oben im Kleiderschrank, bei den Hüten, lag wohlversteckt ein schöner, dreißigbändiger, halblederner Goethe – unter Verschluß –, das Konfirmationsgeschenk der Frau von Teschow an ihre Enkelin Violet von Prackwitz. Violets Konfirmation lag schon weit zurück, aber noch war nicht abzusehen, wann ihr der Goethe ausgehändigt werden konnte.
Fräulein von Kuckhoff nahm aus dem Schrank den siebenten Band:
Die Gedichte – Lyrisch. I.
Er sah merkwürdig geschwollen aus. Neben den Band auf den Tisch legte Fräulein von Kuckhoff Schere und Papier.
»Kleister, Jutta!« mahnte Frau von Teschow.
Die Freundin setzte auch noch das Töpfchen mit Kleister dazu, schlug das Buch auf und begann an bezeichneter Stelle das Gedicht vom Goldschmiedsgesellen zu lesen.
Nach dem ersten Vers nickte Frau von Teschow beifällig mit dem Kopf: »Diesmal haben wir Glück, Jutta!«
»Warte es ab, Belinde«, sagte Fräulein von Kuckhoff. »Man soll das Schwein erst schlachten, ehe man seinen Speck lobt.«
Und sie las den zweiten Vers.
»Gut, gut!« nickte Frau von Teschow und fand auch die folgenden Verse lobenswert.
Bis man zu den Zeilen kam:
»Das kleine Füßchen tritt und tritt,
Da denk ich mir das Wädchen,
Das Strumpfband denk ich auch wohl mit,
Ich schenkt’s dem lieben Mädchen …«
»Halt, Jutta!« rief Frau von Teschow. »Wieder!« sagte sie klagend. »Was meinst du, Jutta?« fragte sie.
»Ich hab es dir ja gleich gesagt«, erklärte Fräulein von Kuckhoff. »Die Katze läßt das Mausen nicht.«
»Und das will ein Staatsminister sein!« empörte sich Frau von Teschow. »Da sind die von heute auch nicht schlimmer.Was sagst du, Jutta?« Aber sie wartete die Antwort nicht ab. Das Urteil war gefällt. »Kleb es zu, Jutta! Kleb es gut und fest zu – wenn das Kind das läse!«
Fräulein von Kuckhoff war schon dabei, das unzüchtige Gedicht mit Papier und Kleister zu verpflastern. »Viel bleibt nicht, Belinde«, sagte sie und hob den Band prüfend.
»Es ist eine Schande!« empörte sich Frau von Teschow. »Und so was will ein Klassiker sein! Ach, Jutta, hätte ich doch lieber einen Schiller für das Kind gekauft – Schiller ist viel edler, lange nicht so fleischlich!«
»Denk an den alten Spruch, Belinde: Kein Ochse ohne Horn. Schiller ist auch nichts für die Jugend. Denke
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