Wolf unter Wölfen
arbeitet zwischen den Sachen, er flucht halblaut; es ist schwer, mit einer Taschenlampe in der Hand in einem unbekannten Zimmer etwas zu finden. Er raschelt, stößt an Stühle, plötzlich tanzt der Lichtschein gegen das Fenster und erlischt. Nun geht das Rascheln wieder los …
Jawohl, sie muß abends rechtzeitig im Bett liegen, gelegentlich darf sie auch mal auf einen Ball bis elf, spätestens zwölf Uhr mit oder mit Sondererlaubnis, von Förster und Diener begleitet, auf den Anstand gehen. Nachmittags spricht einen Tag um den andern die Mama französisch und englisch mit ihr –: »Damit du auf dem laufenden bleibst, Weio! Du wirst später eine Rolle in der Gesellschaft spielen müssen – anders als deine Mama, die nur eine Pächtersfrau ist!« – Oh, wie verblasen, wie verlogen, wie flach kommt ihr die Welt zu Hause vor! Hier sitzt sie in dem stinkenden Inspektorenzimmer, das Leben schmeckt nach Blut und Brot und Dreck. Es ist keineswegs, wie Eltern, Lehrerinnen, Pastorenbehaupteten, eine sachte, freundliche, höfliche Angelegenheit, dunkel ist es … ein wundervolles Dunkel …
Und aus dem Dunkel kommt ein Mund mit schimmernd weißen Zähnen, die Eckzähne sind spitz; die Lippen sind schmal, trocken, so frech – o Mund, Männermund zum Küssen, Raubtierzähne zum Beißen! Aus dem Dunkel, mir entgegen –!
Die Eltern, die Großeltern, Alt- wie Neulohe, Ostade mit der Garnison, der Herbstmarkt in Frankfurt an der Oder, das Café Kranzler in Berlin – enge Welt, hörige Welt, die ewig stillesteht. Man sitzt an einem Marmortischchen, der Ober verbeugt sich, Papa und Mama diskutieren, ob die höhere Tochter noch einen Windbeutel mit Schlagsahne verträgt, der freche Kerl am Nebentisch fixiert sie, und die höhere Tochter schaut weg – geordnete Welt, die es schon längst nicht mehr gibt, stehengebliebene Ruine!
Denn ein anderes Leben ist hereingebrochen, in dem all das nicht mehr gilt, es jagt, glostet, blitzt – oh, unendliches Feuer, geheimnisvolle Abenteuer, herrliches Dunkel, in dem man nackt sein darf ohne Scham! Arme Mama, die dies nie kennengelernt hat! Armer Papa – so alt mit deinen weißen Schläfen! Ich lebe, ich taumele, ich tanze – Wege über Wege – und welche Leichtigkeit, sie entlangzuwirbeln, immer neue Wege, stets andere Abenteuer! Dummer, häßlicher Negermeier, zu nichts gut, als eine Viertelstunde ein bißchen Prickeln zu verschaffen und lange, schwer gestraft zu werden!
»Ist das der Wisch?« fragt der Leutnant und leuchtet einen feuchten, verschmierten Lappen an. »Der Kerl hat ihn in Schnaps ersäuft!«
»Oh, bitte, gib ihn mir!« ruft sie, die sich plötzlich ihrer verstiegenen Schreiberei schämt.
Aber er: »Danke, nein, Kindchen! Daß du ihn noch mal auf Reisen schickst, und ich kann hinterherlaufen!« – Er hat ihn schon in der Tasche. – »Und das sage ich dir, Violet, du schreibst mir nicht noch einmal! Nie! Kein Wort!«
»Ich hatte doch solche Sehnsucht nach dir!« ruft sie und wirft die Arme um seinen Hals.
»Ja, natürlich. Versteh ich, verstehe alles. – Sag mal, du führst doch kein Tagebuch?«
»Ich –? Wieso –? Ein Tagebuch –? Nein, natürlich nicht!«
»Na –! Ich glaube, du kohlst! Ich werde einmal dein Zimmer revidieren müssen!«
»O ja! Bitte!! Bitte!! Bitte, Fritz, komm einmal in mein Zimmer, es wäre herrlich von dir, wenn du einmal in meinem Zimmer gewesen wärst!«
»Schön! Schön! Das läßt sich schon mal einrichten. Aber jetzt muß ich schnell machen, in die Versammlung, die werden schon schimpfen!«
»Heute – kommst du heute noch zu mir? Nach der Versammlung? Oh, bitte, Fritz, tu es!«
»Heute? Ist doch ausgeschlossen! Ich muß doch nach der Versammlung noch einmal hierher – mit dem Kerl quatschen, hören, ob er nicht noch andern von dem Brief erzählt hat …«
Er denkt nach.
»Ja, Fritz, gib ihm ordentlich was aufs Dach! Er muß Angst haben, sonst redet er alles weiter. Er ist zu ekelhaft und gemein …«
»Und du selbst hast ihn mir als Boten empfohlen!« Aber der Leutnant fängt sich, bricht ab. Es hat keinen Zweck, den Frauen einen gemachten Fehler vorzuhalten, mit ihnen einen Streit anzufangen. Das wird immer gleich uferlos. Dem Leutnant ist ein anderer, viel schrecklicherer Gedanke gekommen. Der da kann nicht nur über den Brief quatschen; er weiß ja noch anderes, vielleicht hat Kniebusch nicht dichtgehalten …
»Nein, ich muß nachher unbedingt mit ihm sprechen!« sagt er noch einmal.
Es ist, als hätte sie ihn
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