Wolf unter Wölfen
zu uns. – Also gute Nacht!«
Und ehe Amanda noch eine neue Frage stellen kann, ist er weitergegangen. Sie starrt ihm ärgerlich nach, ehe sie sich entschließt, nach Hause zu gehen. So schlau er ist, der junge Räder, in ihr ist doch das Gefühl aufgekommen, daß er sie an der Nase herumgeführt hat. Und da der Herr Räder ein ganz Eingebildeter ist, der sonst nie mit ihr redet, wird er sie schon nicht umsonst, so ganz ohne Zweck genasführt haben. Da steckt etwas dahinter!
Gedankenvoll geht Amanda weiter. Sie verläßt den Hof, biegt um die Ecke des dunklen Inspektorenhauses und bleibt überlegend vor den Fenstern ihres Freundes stehen.
Vorhin standen die Fenster offen, dann schloß er sie. Vorhin aber, als sie einen Augenblick vom Hof hinübersah, brannte Licht in dem Fenster, jetzt brennt kein Licht mehr. Amanda sagt sich, daß dies alles völlig in Ordnung ist, daß ihr Hänseken jetzt schläft, daß man einen dunen Mann am besten schlafen läßt und daß dies Schlafenlassen grade auch im Hinblick auf die Aussprache mit der Hartig das Beste ist, was sie tun kann. Es hat wirklich keinen Sinn, diese Sache noch einmal umzurühren – so was liegt ihr gar nicht. Die Hartig läßt sich nicht wieder mit dem Hänseken ein – davon ist Amanda fest überzeugt.
Also könnte sie ihn schlafen lassen und könnte selber auch schlafen gehen – brauchen kann sie Schlaf auch – und feste! Aber es juckt ihr so in den Fingern, ihr ist so komisch, das Bett winkt noch gar nicht, wenn sie sich auch nach ihm sehnt. Sie weiß doch sonst, was sie will, aber jetzt, obwohl sie ihn schlafen lassen möchte, würde sie doch auch gerne mit den Fingern gegen die Scheiben trommeln, bloß um seine wütende, verschlafene Stimme zu hören, um zu wissen, es ist alles in Ordnung … Ihr ist so, ihr ist auch wieder anders …
Ach was! Ich trommel eben einfach! beschließt sie grade bei sich.
Da sieht sie in dem Zimmer von Hänseken einen kleinen, runden, weißen Lichtschein, wie von einer Taschenlaterne.Ganz unwillkürlich tritt sie schnell zur Seite, obwohl sie bei dem Lichtschein gesehen hat, daß die Gardinen vorgezogen sind. Genauso ein Lichtschein war vorhin auf sie gerichtet, als sie mit der Hartig beim Misthaufen stand. Genauso einer!
Sie steht überlegend da, sie zerbricht sich den Kopf, was die elektrische Taschenlampe, das gnädige Fräulein und der unbekannte Herr so spät und so heimlich im Zimmer ihres Hänseken zu suchen haben. Sie sieht den Lichtschein wandern, ausgehen, wieder aufleuchten, wieder wandern …
Aber sie ist nicht die Person danach, lange tatenlos vor einem Fenster zu stehen und zu grübeln. Rasch geht sie zur Haustür und drückt vorsichtig auf die Klinke. Als sie sich mit der Schulter gegen die Tür lehnt, gibt sie nach.
Leise tritt Amanda auf den dunklen Flur und zieht die Haustür wieder hinter sich zu.
5
Über die Giebelstube und die Bodentreppe war der Leutnant bis auf den dunklen Flur des Inspektorenhauses gelangt. Ein Aufleuchten seiner Taschenlampe zeigte ihm, daß der Schlüssel gottlob innen in der Haustür steckte – er schloß auf, und Weio huschte zu ihm herein.
Zwar war die Bürotür verschlossen, aber hier wußte Violet Bescheid: der Doppelschlüssel lag in dem blechernen Briefkästchen an der Bürotür, das sich leicht aufdrücken ließ – eine für Meier bequeme Regelung, so brauchte er morgens nicht aufzustehen, wenn sich der Hofmeister die Stallschlüssel aus dem Büro holte.
Die beiden traten in das Büro. Hier roch es betäubend – der Leutnant leuchtete die Flaschenreste an und sagte: »Chloroform oder Alkohol – er wird sich doch nichts angetan haben, der Kerl? Tritt nicht in die Scherben, Violet!«
Nein, er hatte sich nichts angetan. Schon das Gehör meldetees: Negermeier schnarchte und röchelte, daß es einen grausen konnte. Violet legte ihre Hand um den Arm des Freundes und fühlte sich nun in diesem wüsten, stinkenden, schwülen Zimmer geborgen.
Mehr noch: sie fand diesen ganzen nächtlichen Ausflug, diesen Aufstand um einen Brief von ihr »fabelhaft interessant« und den Fritz »unerhört schneidig«! Sie war fünfzehn, ihr Lebensappetit war groß und Neulohe unerhört langweilig. Der Leutnant, von dessen Existenz ihre Eltern nichts wußten, den sie selbst nur beim Vornamen kannte, den sie auf ihren Gängen durch die Forst getroffen und der ihr auf den ersten Blick gefallen hatte, dieser eilige, oft völlig geistesabwesende, meist kühle und schnoddrige Mann, aus
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