Wolf unter Wölfen
erraten. »Und was tust du dann mit ihm, Fritz?! Wenn er euch verrät –?«
Der Leutnant steht ganz still. Selbst diese kleine dumme Gans ist auf den Gedanken gekommen, hat die Gefahr gefühlt,von der die »Sache« immer bedroht ist, die alle fürchten: Verrat. Es wird ja schon kaum etwas gesagt, außer dem engsten Kreis weiß kaum einer genau, um was es geht, was man vorhat. Man macht eine Andeutung, allgemeine Redensarten. Unzufriedenheit, Haß, Verzweiflung gibt es genug auf dem Lande. Die Banknotenpresse in Berlin schleudert mit jeder neuen Woge Papiergeld eine neue Woge Erbitterung ins Land – da genügen ein paar Worte, das verhaltene Geklirr von Waffen … fast nichts!
Aber einer braucht gar nicht so helle zu sein, einer braucht gar nicht viel zu wissen, es genügt schon, wenn er dem Landrat erzählt: da fährt jemand im Land herum und putscht bei den Leuten. Er hat heute sogar gehört, daß die Waffen gezählt werden sollen im Dorfe …
Der Leutnant läßt den Schein seiner Lampe auf das Gesicht des Schläfers fallen – es ist kein gutes Gesicht, keines, dem man trauen kann. Er hatte schon den richtigen Instinkt, als er diesen Burschen nicht dabeihaben wollte … Aber da war diese Violet. Sie hatte ihn vorgeschlagen, er wäre ein so bequemer, unauffälliger Bote zwischen ihnen gewesen. Er allein hatte immer Zutritt zum Hause des Rittmeisters und war immer auf den Feldern, im Walde zu treffen … Und beim ersten Botenweg ging die Sache schief! Ewig diese Weibergeschichten – immer mußte dieses langhaarige Gesindel dazwischenkommen! Nichts hatten sie im Kopf als ihre sogenannte Liebe!
Der Leutnant dreht sich kurz um und sagt böse: »Du gehst jetzt auf der Stelle ins Bett, Violet!«
Sie ist ganz erschrocken über seinen Ton. »Aber Fritz, ich wollte doch hier auf dich warten! Und dann muß ich doch auch noch mit dem Förster sprechen, wegen des Bocks …«
»Hier –? Mach dich bloß nicht lächerlich! Wie denkst du dir das, wenn der Kerl aufwacht oder jemand kommt hier rein …«
»Aber, Fritz, was willst du denn machen?! Wenn er nun aufwacht und er merkt, sein Brief ist weg, meinen Brief meine ich, und er hat eine Wut auf uns und läuft los und erzählt alles dem Großpapa oder Mama …«
»Also, bitte, höre schon auf, Violet! Bitte! Das werde ich alles regeln. Ich knöpfe ihn mir nach der Versammlung vor – und gründlich, das kann ich dir sagen –!«
»Aber wenn er vorher wegläuft –?!«
»Er läuft nicht weg! Er ist doch besoffen!!«
»
Wenn
er aber vorher wegläuft –?!«
»Himmelherrgott, halte jetzt den Mund, Violet!« schreit der Leutnant fast. Und, da er selbst einen Schreck bekommen hat, flüsternd: »Also, bitte, sei jetzt vernünftig. Hier kannst du unmöglich warten. Paß meinethalben vor dem Haus auf – ich bin in einer guten Stunde wieder hier.«
Sie gehen zusammen. Sie tasten sich durch den dunklen Raum, über den dunklen Flur. Nun sind sie wieder draußen.
Es ist Nacht, Vollmondnacht, friedlich, die Luft ist sehr warm.
»Verdammter Mond! Jeder kann uns sehen! Geh dort in die Büsche. Also in einer Stunde …«
»Fritz!« Ihm nachrufend: »Fritz!«
»Was denn? Willst du wohl ruhig sein?!«
»Fritz –! Gar keinen Kuß –?? Nicht einen Kuß?!«
O verdammt! O verflucht! Und laut: »Nachher, mein Kind, nachher holen wir alles nach.«
Der Kies knirscht. Der Leutnant ist fort. Violet von Prackwitz steht in den Büschen, wo auch Amanda Backs stand. Wie diese hat sie die Augen auf die Fenster des Inspektorenhauses gerichtet.
Ein bißchen ist sie enttäuscht – aber doch auch wieder sehr stolz auf dieses Postenstehen.
6
Der Förster Kniebusch wanderte langsam, den Drilling auf dem Rücken, durch den nächtlichen Wald. Der Vollmond war schon ziemlich hoch, aber hier unten, zwischen den Stämmen, machte sein Schein die Sicht nur noch ungewisser.Der Förster kannte den Wald, wie ein Städter seine Wohnung kennt: zu allen Tages- und Nachtstunden war er hier schon gegangen. Er kannte jeden Knick des Weges, jeden Wacholderbusch, der – geisternd wie ein gespenstischer Mann – zwischen den hohen Kiefernstämmen auftauchte. Er wußte, das Rascheln eben kam von einem Igel, der auf der Mäusejagd war – aber wenn ihm auch alles vertraut und bekannt war,
jetzt
ging er nicht gerne durch den Wald.
Der Wald war derselbe geblieben, seit eh und je, aber die Zeiten waren anders geworden, und mit den Zeiten die Menschen. Jawohl, auch früher hatte es Holzdiebe gegeben. Doch das
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