Wolf unter Wölfen
mußte er in die Tasche greifen, die schon nicht mehr prall war. Es war noch nicht der Gedanke an Verlust, der ihn irritierte, es war der unbegreiflich rasche Ablauf des Spieles … Nahe schon sah er vor sich den Augenblick, da er aufstehen und dieses kaumerst gekostete Vergnügen würde aufgeben müssen. Mit der Zahl der Einsätze, meinte er, müßten seine Gewinnaussichten steigen – immer hastiger verteilte er Marken über das ganze Spielfeld.
»So spielt man nicht!« sagte eine ernste Stimme mißbilligend neben ihm.
»Wie –?!« fuhr der Rittmeister hoch und sah den jungen Pagel empört an, der sich auf den Stuhl neben ihm gesetzt hatte.
Aber hier war der junge Pagel nicht unsicher und verlegen. »Nein, so spielt man nicht!« sagte er noch einmal. »Sie spielen ja gegen sich selbst.«
»Was tue ich?!« sagte der Rittmeister und wollte sehr wütend werden, dem jungen Burschen, genau wie dem Studmann vorher, gründlich Bescheid sagen! Aber zu seiner Überraschung kam der sonst stets auf der Lauer liegende Zorn nicht, statt dessen ergriff ihn Verlegenheit, als habe er sich wie ein törichtes Kind benommen.
»Wenn Sie Rot und Schwarz gleichzeitig setzen, können Sie doch nicht gewinnen«, sagte Pagel tadelnd. »Entweder gewinnt Rot oder Schwarz – beides nie!«
»Wo habe ich –?« fragte der Rittmeister verwirrt und sah über den Spieltisch. Doch grade fuhr der Rechen des Croupiers dazwischen, die Marken klapperten …
»Da nehmen Sie doch!« flüsterte Pagel streng. »Sie haben Dusel gehabt. Das da ist Ihres – und da – und da – gnädige Frau, ich bitte sehr, das ist unser Einsatz!«
Irgendeine Frauenstimme sagte sehr aufgeregt etwas, Pagel achtete nicht darauf. Er ordnete weiter an, und wie ein Kind folgte der Rittmeister seinen Weisungen.
»So – und diesmal werden Sie gar nichts setzen – wir wollen erst sehen, wie das Spiel läuft. Was haben Sie noch an Marken? – Das reicht nicht für einen großen Schlag – warten Sie, ich kaufe noch …«
»Sie wollten gehen, Pagel!« ließ sich die unausstehliche Erzieherstimme Studmanns vernehmen.
»Bloß einen Augenblick, Herr von Studmann«, sagte Pagel, liebenswürdig lächelnd. »Ich will Herrn Rittmeister nur schnell zeigen, wie man richtig spielt.«
»Bitte, fünfzig zu fünfhunderttausend und zwanzig zu einer Million …«
Studmann machte eine Gebärde der Verzweiflung …
»Wirklich nur einen Augenblick«, sagte Pagel freundlich. »Sie können mir glauben,
mir
macht das Spielen überhaupt keinen Spaß, ich bin kein Spieler. Es ist nur wegen des Rittmeisters …«
Aber von Studmann hörte nicht mehr. Er hatte sich ärgerlich umgedreht und war fortgegangen.
»Passen Sie auf, Herr Rittmeister«, sagte Pagel. »Jetzt wird Rot kommen.«
Sie warteten gespannt.
Dann kam – Rot.
»Wenn wir jetzt gesetzt hätten –!« klagte der Rittmeister.
»Nur Geduld!« tröstete Pagel. »Erst muß man sehen, wie der Hase läuft. Jetzt kann man gar nichts Bestimmtes sagen – immerhin wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Schwarz kommen.«
Es kam aber Rot.
»Sehen Sie!« sagte Pagel triumphierend. »Wie gut, daß wir nicht gesetzt hatten! Jetzt fangen wir aber bald an. Und Sie sollen sehen – in einer guten Viertelstunde …«
Der Croupier lächelte unmerklich. Von Studmann, in einem Winkel, verfluchte den Augenblick, da er bei Lutter und Wegner den jungen Pagel angesprochen hatte.
ACHTES KAPITEL
Es verwirrt sich in der Nacht
1
In ihrem Busch vor der Tür des Beamtenhauses steht Violet von Prackwitz Wache; drinnen im Büro tritt ein anderes Mädchen, Amanda Backs, aus ihrem Versteck. Sie hat längst nicht alles verstanden, was die beiden, der Leutnant und das gnädige Fräulein, miteinander verhandelten. Aber vieles ließ sich erraten – von dem Leutnant, der durch das Land reist und die Leute zu irgendeinem Putsch sammelt, hatte sie auch schon früher gehört; und durch die deutschen Lande geht zu jener Zeit ein Spruch, düster drohend: Verräter verfallen der Feme!
Es ist nicht angenehm, an den Liebsten als an einen Verräter denken zu müssen, und Amanda Backs mag ein so handfestes Stück Pöbel sein, wie nur ausdenkbar, sie würde nie eine Verräterin sein. Sie liebt und sie haßt, ohne Hemmungen, aus ihrer kräftigen, nicht zu brechenden Natur heraus, aber sie könnte nie verraten. Darum steht sie ja auch weiter zu ihrem Hänseken, trotz allem, was sie von ihm weiß. Er ist eben auch bloß ein Mann, und mit den Männern, mit allen, ist weiß
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