Wolf unter Wölfen
sie ausgefüllt gewesen – und jener eine Augenblick, da die Kugel am Rande eines Loches zu verharren schien, unentschlossen, ob sie hineinfallen oder weiterlaufen sollte – dieser eine Augenblick, da die Zeit mit dem Atem, mit dem Herzen in der Brust stillezustehen schien – dieser eine Augenblick ging immer viel zu schnell vorüber.
Der junge Pagel, wie er beherrscht und rechnend setzte, war für Herrn von Prackwitz kein schlechter Lehrmeister gewesen; der Rittmeister sah ein, während Pagel ihm mit ein paar halben Worten die Chancen erläuterte, wie sinnlos, wie kindisch er vorher gespielt hatte. Nun, da er das Spielfeld klarer überblickte, schon beurteilen konnte, daß der blasse, scharfnasige Herr mit dem Monokel, so beherrscht er aussah, doch wie ein Narr spielte – nun konnte der Rittmeister schon vernünftigere Vorschläge machen, die, wie schon gesagt, von dem Exfahnenjunker häufig nicht befolgt wurden.
Eine leise gereizte, später richtig erbitterte Stimmung wurde langsam in dem Rittmeister stärker und stärker. Der junge Pagel spielte mit wechselndem Erfolge, aber im ganzen gesehen befand er sich trotz einiger Treffer auf einer absteigendenLinie. Wenn es ihm vielleicht nicht zum Bewußtsein kam, der Rittmeister merkte wohl, wie der Fähnrich immer wieder aus der Waffenrocktasche für Nachschub von Marken sorgen mußte. Der Junge hatte alle Ursache, seinen, des Älteren und ehemals Vorgesetzten, Ratschlägen zu folgen! Zehnmal hatte es der Rittmeister schon auf der Zunge, zu sagen: Nun tun Sie endlich einmal, was ich Ihnen sage! – Jetzt haben Sie schon wieder verloren!
Wenn der Rittmeister diesen Satz (mit großen Schwierigkeiten) immer wieder verschluckte, so nicht darum, weil der junge Pagel ja schließlich mit seinem eigenen Gelde spielen konnte, wie er wollte. Pagel spielte unzweifelhaft mit seinem eigenen Gelde, der Rittmeister war bloß ein geduldeter Zuschauer, mit drei oder vier Spielmarken in der Tasche und mit kaum etwas Geld in der Hinterhand. Darüber war sich Herr von Prackwitz sehr klar. Aber dies war es nicht, was ihn davon abhielt, den Junker als sein Vorgesetzter gehörig zur Ordnung zu rufen. Sondern es war die dunkle Befürchtung, Pagel könne bei dem geringsten Zwischenfall das Spiel abbrechen und nach Haus wollen. Davor zitterte er, das war das Schlimmste, was er denken konnte – hier nicht mehr sitzen zu dürfen, das Rollen der Kugel nicht mehr beobachten zu können, nicht die Stimme des Croupiers zu hören, die endlich, endlich, vielleicht schon beim nächsten Spiele, den großen Schlag verkündete. Diese Befürchtung allein, dunkel nur und ihm kaum bewußt, war’s, die den explosiven Rittmeister stets von neuem zurückhielt. Immerhin war es fraglich, wie lange selbst eine so starke Hemmung ihn bei seiner ständig steigenden Erbitterung noch zurückhalten konnte. Ein Streit zwischen beiden war unvermeidlich. Doch kam es zu diesem Streit natürlich ganz anders als erwartet.
Das Spiel, dem man sich hingibt, verlangt die völlige Aufmerksamkeit seiner Anhänger. Das Auge, das nur einen Augenblick abgeirrt ist, hat bereits die Übersicht verloren. Der Zusammenhang ist zerrissen – unverständlich ist nun, warum dort die Marken sich häufen, hier die Spieler erloschene Augenhaben. Das Spiel ist ein unerbittlicher Gott – nur wer sich ihm völlig hingibt, dem schenkt es alle Wonnen des Himmels, alle Verzweiflung der Hölle. Die Halben, die Lauen werden auch hier – wie überall – ausgespien.
Es war für Pagel schon schwer genug, bei dem ständigen Geschwätz des Rittmeisters unbeirrt weiterzuspielen. Als aber nun direkt vor seinen Augen, die den Lauf der Kugel verfolgten, eine weiße, sehr parfümierte Frauenhand mit vielen prahlenden Ringen erschien, eine Hand, die ein paar Jetons hielt, als eine Stimme einschmeichelnd bat: »Also siehst du, Liebling, ich sagte es dir doch! Nun setze auch für mich, wie du mir versprochen hast –!«
Da riß bei dem jungen Pagel die Geduld! Wild herumfahrend, starrte er den hold lächelnden Valutenvamp an und schnauzte: »Sie sollen sich zum Teufel scheren!«
Er erstickte fast vor sinnlosem Zorn.
Was der Rittmeister von Prackwitz bei diesem Vorfall beobachtet hatte, war dies: eine junge, sehr reizvoll aussehende Dame hatte ihren Einsatz, vielleicht etwas ungeschickt, über die Schulter des Fahnenjunkers machen wollen und war dafür von ihm in der unhöflichsten, beleidigendsten Weise angeschrien worden.
Dem Rittmeister war
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