Wolf unter Wölfen
Unhöflichkeit gegen Frauen verhaßt, er rührte den jungen Pagel bei der Schulter an und sagte sehr scharf: »Herr Pagel, Sie als Offizier –! Sofort bitten Sie die Dame um Entschuldigung!«
Der Croupier am oberen Tischende sah diesen Zusammenstoß nicht ohne Besorgnis.
Zwar kannte er den Valutenvamp recht gut, von irgend etwas Damenhaftem an diesem Frauenzimmer war ihm nichts bekannt. Immerhin durfte es in einem solchen verbotenen Spielklub unmöglich zu einem lauten Streit kommen. Da waren die Nachbarn in diesen ehemals hochherrschaftlichen Mietshäusern des Westens. Da waren die Wohnungsinhaber selbst in ihrem ehelichen Schlafgemach, die nur die Not der Inflationszeit dazu gebracht hatte, ihre gute Stube für solchenlichtscheuen Zweck herzugeben. Da war der Portier unten in seiner Loge, der zwar Geld bekommen hatte als sicheres Schlafmittel, der es aber eben schon bekommen hatte – sie alle konnte ein lauter Streit neugierig, argwöhnisch, ängstlich machen.
So warf der Croupier seinen beiden Helfern einen warnenden, weisenden Blick zu. Und diese beiden Helfer eilten auch sofort auf den Kampfplatz, der eine zu dem weißnasigen Valutenvamp, dem er unterdrückt: »Mach uns bloß keinen Zores, Walli!« zuflüsterte, während er laut sagte: »Aber bitte schön, gnädige Frau, Stuhl gefällig?« Der andere drängte sich an den zornroten Pagel heran, der wütend aufgesprungen war, entfernte sacht, aber unwiderstehlich des Rittmeisters Hand von Pagels Schulter, denn er wußte, daß nichts einen zornigen Mann zorniger macht, als wenn er festgehalten wird. Dabei überlegte er sorgenvoll, ob, falls der junge Mann im schäbigen Waffenrock weiter angeben würde, ein kräftiger Kinnhaken in dieser vornehmen Gesellschaft mißfallen würde oder nicht.
Der Croupier selbst wäre auch gerne als Schlichter aufgetreten, nur konnte er noch nicht vom Spieltisch fort. Er bat mit halblauter Stimme die Spieler, ihre Einsätze wieder an sich zu nehmen, bis die kleine Meinungsverschiedenheit zwischen den Herrschaften dort geregelt sei. Dabei dachte er ununterbrochen darüber nach, wen von den beiden Streitenden dort er vor die Tür werde setzen müssen. Denn einer von beiden mußte hinaus, soviel war klar.
Der Tisch vor dem Croupier war jetzt fast leer, und der Spielhalter schickte sich eben an, sein Vorhaben durchzuführen, nämlich den jungen Pagel (der ihm natürlich namentlich nicht bekannt war) höflich oder gewaltsam, gleichviel, vor die Tür zu bitten, als sich die gespannte Lage leider in einer Weise löste, die den Absichten des Croupiers nicht völlig entsprach.
Der Valutenvamp nämlich oder besser die Walli – die in der letzten Stunde von einem spät eingetroffenen Spielerwirklich ein paar Briefchen Schnee hatte kaufen können und die ihre gesamte Erwerbung in einem unsinnigen Tempo aufgeschnupft hatte – wollte, unberechenbar, wie Süchtige nun einmal sind, dieses Mal den zornigen Pagel nur komisch finden. Reizend komisch, himmlisch komisch, zum Verlieben komisch! Sie wollte sich ausschütten vor Lachen über seine fahrigen, zornigen Gebärden, sie forderte die Umstehenden auf, mitzulachen, sie zeigte mit dem Finger auf ihn: »Er ist ja zu süß, der Bubi, wenn er wütend ist! Ich muß dir einen Kuß geben, Liebling!«
Und selbst als der vor Wut sinnlose Pagel sie vor der ganzen Gesellschaft »Hurenluder, verdammtes!« schimpfte, verstärkte auch dies nur ihre Heiterkeit. Vor hysterischem Lachen fast schluchzend, schrie sie: »Nicht für dich, Schatzi, nicht für dich! Du brauchst mir nichts zu zahlen!«
»Ich habe dir gesagt, daß ich dir in die Fresse schlagen werde!« schrie Pagel und schlug zu.
Sie kreischte auf.
Der Unterhaltungston zwischen den beiden, die Art, wie sie sich beschimpften, hatte den Gehilfen des Croupiers längst zu der Überzeugung gebracht, daß ein Kinnhaken hier ebenso am Platze sein müsse wie daheim am Wedding. Auch er schlug zu – aber leider in die zurücktaumelnde Walli, die ohne einen weiteren Laut umsank.
Sowohl von Studmann, der unaufmerksam und verdrossen als Wandhalter geraucht hatte, wie der Croupier kamen zu spät. Der Valutenvamp lag, plötzlich sehr gelb und spitz aussehend, an der Erde, besinnungslos. Der Gehilfe versuchte zu erklären, wie alles gekommen war. Von Prackwitz stand finster dabei und kaute zornig an seiner Lippe.
Studmann fragte ziemlich diktatorisch: »Also jetzt gehen wir wohl endlich –?!!«
Pagel stand rasch atmend, sehr weiß da und hörte sichtlich
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