Wolf unter Wölfen
eines nahen Glückes erfüllen sie … Neulohe, der alte, verwilderte Fliederbusch hinter dem Spritzenhaus, wo sie ihren ersten Kuß bekam, o Gott! Sie wird im Hospiz auch frische Wäsche anziehen. All dies Zeugs ekelt sie …
Sophie Kowalewski ist fertig, ihr Täschchen in der Hand, steht sie und späht unschlüssig zum Bett. Sie macht zwei Schritte in der Richtung und sagt halblaut, sehr vorsichtig: »Du, Bubi …«
Nichts.
Noch einmal: »Ich geh jetzt, Schatzi …«
Nichts, nur das leise Pfeifen durch die Nase …
Es ist keine plötzliche Eingebung, wenn Sophie jetzt scharf zu den Kleidern des Schläfers hinschaut, die unordentlich über den Stuhl geworfen daliegen. Nebenbei hat sie die ganze Zeit, seit sie wach ist, daran gedacht, daß bei dieser dämlichen Nacht wenigstens das Reisegeld nach Neulohe herausschauen könnte. Sie muß jetzt ein bißchen auf ihr Geld sehen, in Neulohe gibt es kein frisches. Rasch ist sie bei dem Stuhl, auf den ersten Griff faßt sie die Brieftasche (sie hat schon heute nacht darauf geachtet, wohin er sie steckt), sie macht sie auf …
Es ist nicht viel Geld in der Tasche – ach, es ist eigentlich sehr wenig darin für einen Mann, der gestern abend viele Millionen für Sekt ausgab! Einen Augenblick zögert Sophie. Sie wirft einen Blick auf die Kleider, und mit dem Auge der Frau sieht sie, daß es wohl sorgfältig geschonte, aber gar nicht neue Kleider sind, vielleicht hat der Mann all sein Geld zusammengescharrt für diesen einen großen Ausgang. Es gibt solche Männer, Sophie weiß es, sie sparen und sparen, sie versprechen sich die Welt von einem solchen Abend, ein Glück, wie sie es noch nie erlebten …
Dann erwachen sie am nächsten Morgen, ernüchtert, verzweifelt, ausgeleert …
Zögernd steht Sophie, die Geldtasche in der Hand. Ihr Blick geht hin und her zwischen den paar Scheinen, den Kleidern, dem Schläfer …
Das bißchen Geld hilft mir auch nichts, denkt sie. Schon will sie die Scheine in die Brieftasche zurücklegen.
Aber der Hans würde mich auslachen! denkt sie plötzlich. Der Hans ist nicht so dumm. Man muß alles mitnehmen, sagt er immer. Die Anständigen sind die Doofen. Nein, es ist ihm grade recht, wird er das nächste Mal besser aufpassen …
Sie nimmt das Geld. Und noch einmal ein Überlegen: Wenigstens das Fahrgeld müßte ich ihm lassen. Sicher muß er auf sein Büro. Daß er wenigstens rechtzeitig auf seinem Büro ist!
Und wieder die andere Stimme: Aber was geht das mich an, ob er rechtzeitig auf dem Büro ist?! Wer hat sich je um mich gekümmert, wie ich nach Haus kam?! Auf der Straße haben mich die Herren Kavaliere stehenlassen, zu faul waren sie, mir die Haustür aufzuschließen, aus der Taxe haben sie mich gesetzt, wenn sie erst ihren Willen hatten! Was heißt hier Fahrgeld?!
Ordentlich stolz ist sie auf ihren Entschluß. Mit zorniger Entschlossenheit stopft sie das kümmerliche Geld in ihr Täschchen. Recht hast du! würde der Hans sagen. Und recht habe ich auch! Wer nicht nimmt, dem wird genommen. Wer nicht beißt, der wird gebissen. Guten Morgen!
Und leichtfüßig, vergnügt läuft sie die Treppe hinunter.
2
Es ist schon hell – auch im Walde. Der kleine ehemalige Feldinspektor Meier stapft wütend die Schneise entlang: die Koffer sind zu schwer, die Schuhe drücken, er hat zu wenig Geld, der Weg nach Grünow ist viel zu weit, er ist unausgeschlafen,der Kopf schmerzt wie sieben Affen – es gibt nur bescheidene Dinge, an die er denken kann.
Das Allerbescheidenste steht plötzlich, wie aus der Erde geschossen, am Wege, es ist der Leutnant.
Aber er ist ganz freundlich. »Morgen, Meier«, sagt er. »Ich wollte Ihnen doch noch adjüs sagen.«
Meier starrt ihn argwöhnisch an. »Also adjüs, Herr Leutnant!«
»Gehen Sie ruhig weiter. Nehmen Sie Ihre Koffer und gehen Sie weiter, wir haben ein Stück gemeinsamen Weg.«
Meier aber bleibt stehen. »Ich gehe ganz gerne alleine«, sagt er.
»Aber! Aber!« meint der Leutnant lachend. Sein Lachen klingt falsch, findet Meier, und seine Stimme flackert. »Sie werden doch keine Angst vor mir haben, jetzt, wo Sie sogar eine Pistole in der Tasche tragen.«
»Es geht Sie einen Dreck an, was ich in der Tasche trage!« schreit Meier gereizt, aber seine Stimme zittert.
»Eigentlich ja«, gibt der Leutnant zu. »Aber wichtig ist es doch für mich, weil ich nämlich nun nicht in Verdacht komme.«
»Wieso nicht in Verdacht komme –?« stottert Meier.
»Wenn Sie hier irgendwo tot im Walde liegen,
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