Wolf unter Wölfen
Essenkessel mit an! Abmarsch!«
Nachdenklich hörte sich das Herr von Studmann an. Aber er hörte es gar nicht recht, es ging zum einen Ohr herein und zum andern Ohr hinaus. Der ehemalige Oberleutnant dachte über den jungen Pagel nach. Der junge Pagel interessierte ihn. Von Studmann gehörte zu den Menschen, die immer über etwas nachdenken und grübeln müssen, aber niemals über sich. Er tat, was getan werden mußte, alles war ganz selbstverständlich, er war ein völlig uninteressanter Mensch. Doch der Pagel zum Beispiel war hochinteressant. Der Oberleutnant hatte ihn aufmerksam beobachtet, der Junge tat seine Arbeit ordentlich und fleißig. Er war immer gleichmäßig gut gelaunt, nicht übelnehmerisch, fand sich überraschend in die fremde Landarbeit. Griff mit zu. Er war ein Spieler gewesen – aber nichts verriet, daß er sich nach dem Spiel zurücksehnte. Er hatte keinen Hang zum Alkohol – und daß er viel zuviel rauchte, war eine Zeitkrankheit, von der auch Herr von Studmann nicht frei war. Immerzu wurde angebrannt, losgepafft, weggeworfen, schon wieder angebrannt.
Der junge Pagel war in Ordnung, es war kein Fehl und Tadel an ihm, er tat seine Sache!
Aber er war doch nicht in Ordnung! Es war kein Leben in ihm, er ging nicht aus sich heraus, er begeisterte sich nicht, er erzürnte sich nicht. Gott, der Bursche war dreiundzwanzig Jahre alt – da konnte er doch nicht ewig mit diesem halben, versteckten Lächeln herumlaufen und sich und alles unwichtig nehmen. Als sei die ganze Welt ein Schwindel, und ausgerechnet er habe es entdeckt! Er war, wenn man an ihn dachte, wie durch einen Schleier gesehen, unscharf, verschwimmend – als lebe er nicht, als vegetiere er bloß, als habe sein Gefühlsleben eine Lähmung erlitten!
Das alles hatte Herr von Studmann schon lange beobachtet, und er hatte sich dabei beruhigt, daß diese Stumpfheit eine Übergangserscheinung sei: Pagel war ein Genesender. Er hatte da eine Liebesgeschichte gehabt, sie war ihm tiefer gegangen, als er geglaubt hatte, er litt noch darunter. Vielleicht war es falsch gewesen, jede Aussprache über diese Sache abzulehnen, aber Herr von Studmann meinte, daß man Wunden in Ruhe lassen soll.
Und nun diese Nachricht, daß Pagel eine neue Liebelei hatte, daß er mit anderen davon sprach, daß er mit Angst an ein Mädchen dachte! Aber dann war ja alles ganz anders, dann war etwas faul im Staate Dänemark, dann war er kein Verletzter, kein Gelähmter, kein Genesender! Dann war er einfach ein fauler Kopf, ein indolenter Bursche, den man auf den Trab bringen mußte!
Studmann nahm sich vor, Pagel noch viel schärfer zu beobachten, noch kameradschaftlicher zu behandeln – es war ja noch immer eine unsichtbare Wand zwischen ihnen! Ein dreiundzwanzigjähriger Bursche – der keine näheren Beziehungen zu irgendeinem Menschen auf der Welt unterhielt, der solch nähere Beziehungen nicht einmal wollte – das war ja direkt unheimlich! Man wurde doch mit dreiundzwanzig kein Eremit! Soviel Herrn von Studmann bekannt war, hatte Pagel auch noch immer nicht an seine Mutter geschrieben – das war auch nicht richtig, da zuerst würde er eingreifen. Alle Kindermädcheninstinkte waren plötzlich in Herrn vonStudmann erwacht – er fühlte eine Aufgabe, und er würde über sie nachdenken, grübeln, sie lösen –!
Der gute Studmann – wenn er einmal über sich nachgedacht hätte statt über andere, es wäre ihm klargeworden, daß er sich mit solchem Eifer auf diese neue Aufgabe stürzte, weil er mit seiner alten gescheitert war. Nach der Unterredung am heutigen Vormittag hatte er, ohne es zu wissen, den Rittmeister aufgegeben. Der Rittmeister war nicht zu retten, er war ein unverbesserlicher Hitzkopf – aus einer Übereilung gerettet, stürzte er mit allem Elan in die nächste! Er war ein Kind, das seine Aufgabe nie lernen würde, der Lehrer mußte sein Amt niederlegen. Wenn der Oberleutnant jetzt an den Rittmeister dachte, so dachte er nicht mehr: Wieder einen Schritt vorwärts!, sondern: Was wird er nun wieder anrichten? Er wollte den Rittmeister nicht verlassen, es war da eine Frau, eine Tochter (auch begehrenswerte Aufgaben), aber der Rittmeister war ohne Interesse für ihn: Ein Rätsel, das wir haben raten wollen und von dem sich herausstellt, es ist gar kein Rätsel, sondern nur eine Anhäufung von Widersinnigkeiten, das lockt uns nie wieder.
Nachdenklich läßt Herr von Studmann seinen freundlichen braunen Blick abwechselnd auf der Amanda Backs und der
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