Wolf unter Wölfen
rein …«
Pagel entschwindet, dem Geheimrat freundlich mit der Hand zuwinkend. Herr von Studmann sieht Herrn von Teschow auffordernd an, denn der alte Mann hat sich auf Studmanns Platz gesetzt, nämlich an den Schreibtisch, nämlich genau vor die verstreuten Briefe – er sieht den Besitzer Neulohes auffordernd an. Aber der Besitzer sitzt, wo er sitzt. So nimmt Studmann die Briefe vom Tisch und fängt an, sie in die gehörigen Mappen zu schieben.
»Der Kram hätte mich auch nicht weiter gestört«, sagt der alte Herr gönnerhaft. »Wenn ich Briefe nicht beantworten muß, stören sie mich gar nicht. – Aber Sie schreiben wohl gerne?«
Herr von Studmann murmelt irgend etwas, es kann eine Antwort sein, es braucht aber keine zu sein.
»Ich sag immer, ein Landwirt braucht überhaupt nicht schreiben zu können. Ein bißchen lesen, meinethalben, damit er die Vieh- und Kornpreise in der Zeitung lesen kann, aber schreiben – zu was denn? Damit sie Wechsel querschreiben können, he? Die ganze Bildung ist ’ne Erfindung von den Roten! Sagen Sie mal, was hat so ’n Landarbeiter davon, daß er schreiben kann? Daß er unzufrieden wird, das hat er davon!«
»Waren früher alle zufrieden?« fragt Herr von Studmann. Er hat seine Briefe abgelegt und lehnt nun rauchend am Ofen. Eigentlich müßte er unbedingt auf den Hof hinaus und nach der Wirtschaft sehen. Aber er ist entschlossen, geduldig abzuwarten, was der alte Herr will. Denn wenn er es nicht anhört, wird es sich der Rittmeister anhören müssen, und dann geht es bestimmt schief.
»I wo!« sagt der alte Herr. »Zufrieden waren wir früher auch nicht. Der Mensch ist zum Meckern geboren, das sage ich Ihnen, mein lieber Herr von Studmann! Wenn der Mensch geboren wird, dann meckert er gleich los wie ein junges Zicklein, und wenn er stirbt, röchelt er wie ein oller Ziegenbock. Und die ganze Zwischenzeit meckert er feste weiter. Nee, zufrieden waren wir natürlich auch nicht, früher! Aber es ist ein Unterschied, mein Verehrtester. Früher wollte jeder nur mehr haben, als er grade hatte; heute will jeder partout das haben, was der andere hat!«
»Da ist was Wahres dran!« bestätigt Herr von Studmann und überlegt sich in aller Eile, was er gerne hätte, was jetzt andere haben. Es fällt ihm sogar etwas ein.
»Und ob da was Wahres dran ist!« sagt der Alte triumphierend. Er ist jetzt ganz zufrieden. Der junge Pagel hat ihm gutgetan, und der Herr von Studmann hat ihm auch gutgetan. Es sind beides umgängliche Leute – nicht so was wie sein Schwiegersohn.
»Hören Sie zu, Herr von Studmann«, meint er darum gemütlich. »Wir sprechen vom Meckern. Nun, was meine Gnädige ist, die meckert auch. Und darum sitze ich hier.«
Herr von Studmann sieht ihn fragend an.
»Ja, mein lieber Herr von Studmann, Sie haben Schwein, Sie sind Junggeselle. Aber ich alter Mann –! Diesmal sind es Ihre Teufelshusaren –!«
»Wer?!«
»Na, die Zuchthäusler dort, sie nennen sich doch selber so! Seit sie vor gut einer Stunde angekommen sind, gibt es keine Ruhe: ›Horst-Heinz, ich ertrage es nicht, in unserm lieben Neulohe Zuchthäusler! Und wenn ich aus dem Fenster sehe, dann sehe ich sie, und es sind doch alles Mörder und Räuber, und nun singen sie auch noch – Mörder dürften doch nicht singen‹ …«
»Soviel ich gehört habe, singen sie aber ganz einwandfreie Lieder.«
»Was ich ihr gesagt habe, mein verehrter Herr von Studmann!Genau meine Worte! Singen ja sogar die ›Rasenbank am Elterngrab‹, habe ich ihr gesagt. Aber nein, ihr will es nicht in den Kopf, daß Mörder singen. Mörder müssen ihr ganzes Leben lang bereuen, denkt sie.«
»Es sind gar keine Mörder darunter!« sagt Herr von Studmann, eine Spur ärgerlich, denn er merkt, daß dieses Geschwätz doch auf etwas Ernsteres hinauswill. »Es sind Diebe und Betrüger, alles verhältnismäßig Kurzstrafige mit guter Führung …«
»Meine Worte, Herr von Studmann, genau, was ich der Frau gesagt habe! Aber sagen Sie einer Frau was, wenn sie etwas anderes im Kopf hat! ›Warum sind sie denn im Zuchthaus, wenn sie keine Mörder sind?‹ sagt sie. ›Für die Diebe sind doch die Gefängnisse da.‹ Ich kann der Frau doch nicht das ganze Strafgesetzbuch auseinanderpolken!«
»Und was soll werden?« fragt Herr von Studmann. »Was wünscht die gnädige Frau?«
»Und dann ist da noch die Sache mit unserer Waschküche«, fährt der Geheimrat fort. »Nun ja, meine Frau hat sie zur Verfügung gestellt fürs Essenkochen. Aber
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