Wolf unter Wölfen
Studmann rannte zum andern Dorfende.
Herr von Teschow, der alte Geheimrat, sah vom Park aus, wie er rannte. Renne du! sagte er wohlgefällig zu sich. Und wenn du mit allen Erzengeln und den himmlischen Heerscharen meiner Belinde auf den Fersen rennen würdest – du rettetest meinen Schwiegersohn doch nicht!
Damit ging der Geheimrat tiefer hinein in den Park, zu einer ihm gut bekannten Stelle. Spät kommt ihr, doch ihr kommt. Fuchs, du hast die Gans gestohlen. Wer zweimal eine Grube gräbt, der kommt zum Ziel.
»Gnädige Frau bitten den Herrn Rittmeister zum Kaffee!«
»Danke, Hubert. Soll mich zufriedenlassen. Will keinen Kaffee. Bin krank.«
»Du bist krank, Achim?«
»Du sollst mich zufriedenlassen!«
»Hubert sagt, du bist krank.«
»Ich weiß am besten, was ich gesagt habe! Ich bin nicht krank! Ich will nicht ewig bevormundet werden!«
»Entschuldige, Achim – du hast recht, du bist wirklich krank!«
»Himmelherrgott, laß mich zufrieden, ja?! Ich bin nicht krank! Ich will meine Ruhe haben …«
Er hatte sie bereits, Frau von Prackwitz war schon gegangen.
Nun hörte er sie nebenan leise mit der Weio reden, beim Kaffeetrinken. Sie sollten ruhig laut reden, sonst kam man nur auf den Gedanken, sie redeten über einen selbst! Natürlich redeten sie über ihn!! Sie sollten nicht so flüstern! Er war
nicht
krank! Er hatte es ihr doch gesagt! Gott im Himmel, sie zwangen ihn, einen ruhebedürftigen Mann, aufzustehen und sich mit an den Kaffeetisch zu setzen, bloß um ihren Willen zu haben!
Er würde es gerade nicht tun!
Aber sie sollten nicht so flüstern, sonst mußte er es doch tun!
»Redet doch laut!« brüllte der Rittmeister empört durch die geschlossene Tür. »Dies Flüstern macht einen ja ganz nervös! Wie soll man bei dieser Tuschelei ruhen können –!«
»Was machen die Leute bloß da?« sagte Frau von Teschow zu Fräulein von Kuckhoff. »Ich glaube, sie wollen mauern.«
Die beiden alten Damen saßen jede auf ihrem Fensterplatz und sahen auf den heute interessantesten Fleck in Neulohe, die Schnitterkaserne. (Sonst schliefen sie um diese Zeit.)
»Wer warten kann, der ist der Mann«, antwortete Jutta von Kuckhoff, aber auch ihr wurde das Warten schwer. »Du hast recht, Belinde, es sieht nach Mauern aus.«
»Aber was können sie denn bloß mauern?!« fragte wieder die alte Dame aufgeregt. »Seit Horst-Heinz 97 die Schnitterkaserne gebaut hat, ist sie so. Ich bin an sie gewöhnt. Und nun plötzlich Änderungen, ohne jede Vorbereitung! Bitte, Jutta, klingle nach Elias.«
Es wurde geklingelt; bis der Elias kam, wurde weiter geschaut.
»Dieser junge Mensch, dieser sogenannte Herr Pagel, führt das Kommando. Ich habe seinem Gesicht nie getraut, Jutta. Warum läuft er immer in feldgrauen Röcken herum, wo er zwei Koffer voll Anzüge haben soll?! – Elias, hat dieser junge Mensch nicht andere Anzüge?«
»Doch, gnädige Frau, in einem Schrankkoffer und in einem großen Kupeekoffer. Minna sagt, er hat auch seidene Hemden, ganz durchzuknöpfen wie die vom Herrn Rittmeister. Seidene, nicht Linon. Aber er zieht sie nicht an.«
»Und warum zieht er sie nicht an?«
Elias bewegte die Schultern.
»Verstehst du das, Jutta? Ein junger Mensch, der seidene Hemden hat und sie nicht anzieht?«
»Vielleicht gehören sie ihm nicht, Belinde?«
»Ach, i wo, wenn er sie im Koffer hat! – Dahinter steckt was – nimm mein Wort, Jutta, denke daran, daß ich es jetzt gesagt habe. Wir müssen aufpassen: wenn er das erste Mal ein Seidenhemd anhat, dann ist etwas los –! Bestimmt!!«
Die drei alten Leute sahen sich an, mit funkelnden Augen, neugierig und gierig; alte Raubvögel, die das Aas schon wittern, wenn es noch lebt. Sie verstanden sich, auch Elias war lange genug Diener, um zu verstehen, mitzuwittern.
»Der junge Mann war heute früh mit dem gnädigen Fräulein im Park«, sagte er.
»Mit meiner Enkelin, mit Fräulein Violet –? Sie irren sich, Elias. Violet hat Stubenarrest, sie darf nicht einmal zu uns …«
»Ich weiß doch, gnädige Frau«, antwortete Elias.
»Und –?«
»Sie waren reichlich zweiundzwanzig Minuten im Park, hinten, unter den Bäumen, nicht vorne auf dem Rasen.«
»Elias! Meine Enkelin –«
»Geraucht haben sie auch. Er hat ihr Feuer gegeben, nicht mit dem Streichholz, sondern von seiner Zigarette. Ich sage, wie es ist, gnädige Frau. Das habe ich gesehen – nachherhabe ich nichts gesehen, weil dann die Bäume kamen. Darüber kann ich nichts sagen.«
Die drei
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