Wolf unter Wölfen
Kinderschuhe auszieht, launisch wie eine junge Frau, die ihr erstes Kind erwartet, launisch wie eine Primadonna, die nie eins gehabt hat und nie eins kriegen wird, launisch also wie nur eine Frau war der Herr Rittmeister. Feige aber war er nicht!
Es wäre ihm gar nicht darauf angekommen, seinem Schwiegervater auf der Stelle alles von den Gänsen zu erzählen und mit ihm in den heftigsten Streit zu geraten, ohne jede Rücksichtnahme auf alle möglichen Folgen, wenn er in der Laune zu streiten gewesen wäre. Aber nachdem er am Vormittag und an einem guten Teil des Nachmittags seiner Streitlaune gefrönt hatte, war er nun in der Friedenslaune.
Der Rittmeister hatte sich tagsüber verausgabt, mit den beiden Schüssen war aus der Flinte auch sein Zornesmut hinausgeflogen. Der Rittmeister sah den schwitzenden, lodengekleideten Greis an, die Stirn des alten Mannes war mit Schweißtropfen bedeckt –.
Was du wissen mußt, wird dich noch heißer machen! dachte der Rittmeister und sagte seinem Schwiegervater höflich zu, mit Eva darüber zu sprechen, ob der Stubenarrest insoweit gemildert werden könne, um Besuche Weios bei den Großeltern zu erlauben.
»Mächtig spack und blaß siehste aus, Weiochen«, sagte der Großvater. »Na, komm, Kindting, gib deinem ollen Opa ’nen Kuß. – Na, nicht so stürmisch, erst will ich mich mal ein bißchen trockenlegen.«
Und der Greis zog ein ungeheures Taschentuch aus der Hose, bunt mit den Insignien des heiligen Hubertus bedruckt.
Indigniert sah der Rittmeister hin und dann weg. Wenn er etwas empörend fand, so war es, daß dieser kommune Greis mit bedruckten Baumwolltaschentüchern einmal seine Tochter küssen durfte, zum andern ihn durch einen elenden Vertrag zwicken und zwacken konnte. Der Rittmeister sah in die Fichten, zwischen deren Zapfen in der Sonne Vögel ab und zu flatterten, und nach einer Weile fragte er trocken: »Wenn wir uns verabschieden dürften –?«
»Jewiß doch, Verehrtester!« krähte der Alte fröhlich, der sich über die Gefühle seines Schwiegersohnes nicht im geringsten unklar war, aus dessen »Feinheitsfimmel« er schon manches reine Vergnügen gesogen hatte. »Na, denn noch mal ran, Weiochen, an die großväterliche Brust!« Und er rief mit dem versoffenen Stimmklang eines Berliner Wursthändlers: »Warm sind se noch! Dick sind se ooch …«
»Also bitte, Weio!« befahl der Rittmeister scharf. (Man konnte nicht fünf Minuten mit dem Alten zusammen sein, ohne sich über ihn zu ärgern!)
»Geh zu, Weiochen!« krähte der Alte. »Ich bin für deinen Vater wieder mal nicht fein genug! Komisch bloß, daß ihm mein Gut fein genug ist!«
Und nach diesem Kernschuß trabte der Alte ab, nicht ohne vergnügt in sich hineinzumeckern.
Schweigend ging der Rittmeister eine Weile neben seiner Tochter her – er ärgerte sich also doch wieder, und er wollte sich doch nicht ärgern – er vertrug Ärger nicht! Gewaltsam verbannte er jeden Gedanken an den Schwiegervater aus dem Kopf, dachte an einen Horchwagen, den er sich brennend gerne gekauft hätte, den er sich in diesem Herbst nach dem ersten Dreschen unbedingt hatte kaufen wollen – und auf den freilich der rechnende Studmann heute früh jede Aussicht zerstört hatte. Und warum – bloß weil dieses alte Ekel ihn mit einem betrügerischen Vertrage hereingelegt hatte!
»Dein Großvater muß mich doch auch immer ärgern, Violet!« beklagte er sich.
»Ach, Großpapa meint es doch nicht so, Papa!« tröstete ihn Weio. Und aus ihren Gedanken heraus: »Du, Papa, was ich dich fragen wollte …«
»Und ob er es so meint! Der meint noch viel mehr, als er sagt!« Der Rittmeister köpfte ärgerlich mit seinem Stock das Kraut am Wegrande. – »Na, was wolltest du denn fragen?«
»Die Irene hat mir doch geschrieben, Papa«, log Violet kühn. »Denke dir, die Gustel Gallwitz will heiraten!«
»So?« fragte der Rittmeister uninteressiert, denn die Gallwitzens saßen im Pommerschen und waren mit den Prackwitzens weder verwandt noch verschwägert. »Wen denn?«
»Ach, ich weiß nicht. Irgend jemand – du kennst ihn doch nicht, einen Leutnant. Aber was ich fragen wollte, Papa …«
»Von der Reichswehr?«
»Ich weiß nicht. Ja, ich glaube. Aber, Papa …«
»Dann muß er was haben, oder die Gallwitzens geben ihr was mit … Von den paar Kröten, die er als Leutnant bezieht, können sie sicher nicht existieren.«
»Aber, Papa!« rief Weio verzweifelt, da sie ihren Vater ständig auf falscher Fährte sah. »Das
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