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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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hungrig - aber auf der anderen Seite sagte er sich, daß der Dicke durchaus recht hatte: Der Weg war ziemlich weit gewesen, und sein Körper brauchte eine Stärkung, ob er nun Hunger verspürte oder nicht.
    Während er auf die Rückkehr des Dicken und seiner vermutlich ebenfalls dicken und speckigen Frau wartete, blickte er aus dem Fenster und versuchte, sich über das sonderbare Gefühl Klarheit zu verschaffen, das Buchenfeld in ihm auslöste. Er war nicht sicher, ob es nicht an ihm lag: Immerhin hatte er eine lange Reise hinter sich, ein lebensgefährliches, zumindest aber aufregendes Erlebnis, war müde und
    erschöpft und noch dazu verletzt worden. In einem solchen Zustand wäre ihm vielleicht sogar das heilige Rom sonderbar vorgekommen.
    Durch das Fenster, vor dem er saß, konnte er einen Teil des benachbarten Turmhauses erkennen, und wieder fiel ihm auf, wie düster und unheimlich es wirkte. Die Steine waren gewaltige Brocken, die jeder einzelne passend zugemeißelt und ohne Mörtel aufeinandergesetzt worden waren; eine Technik, die schon seit langem nicht mehr benutzt wurde.
    Vieles, was alt und gut war, war verlorengegangen. Sie lebten in einer schnellen Zeit, dachte Tobias, die viele Verände-rungen brachte. Die Wissenschaften befanden sich auf dem Vormarsch, und kaum ein Jahr verging ohne eine neue, erstaunliche Erfindung, ohne neues, überraschendes Wissen.
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    Manchmal machte diese rasende Veränderung der Welt -
    und vor allem des Verständnisses der Menschen von dieser Welt - Pater Tobias große Angst.
    Ein Geräusch von der Tür her riß ihn in die Wirklichkeit zurück. Tobias hob den Kopf und erblickte eine vielleicht vierzigjährige, verhärmte Frau mit schmalen Händen und grauem Haar, die mit einem hölzernen Tablett unter der Tür erschienen war. Auf diesem Tablett trug sie einen Deckel-krug aus Zinn nebst einem passenden Becher, einen Laib Brot, Käse und einen sauberen Teller, auf dem ein knusprig gebratenes Stück Schweinefleisch dampfte. Überrascht fragte sich Tobias, wie sie diese Mahlzeit in den wenigen Augenblicken zubereitet haben mochte, die er jetzt hier saß.
    Dann fielen ihm die fettigen Hände des Dicken wieder ein und die Tageszeit - wahrscheinlich hatte die Familie in der Küche beim Essen gesessen, als er eintraf. Keine Zauberei.
    Nur Zufall.
    Und der verlockende Geruch des gebratenen Fleisches weckte tatsächlich seinen Hunger. Er lächelte dankbar, als Maria das Tablett vor ihm auf den Tisch ablud, und mußte sich sogar beherrschen, um nicht zu gierig nach den Speisen zu greifen.
    »Langt nur tüchtig zu, ehrwürdiger Vater«, sagte Bresser, während er an ihm vorbei zum Fenster eilte. »Und habt keine Hemmungen, nach mehr zu fragen, wenn es nicht reicht.
    Wir haben genug.«
    Tobias unterdrückte ein Lächeln. Die Portion, die vor ihm stand, hätte für fünf Mahlzeiten gereicht. Er wollte gerade eine entsprechende Bemerkung machen, als Bresser nach dem offenen Fensterflügel griff und sich zu ihm herumdrehte.
    »Wenn es Euch recht ist, schließe ich das Fenster, bis Ihr gegessen habt. Damit Euch der Gestank nicht zu arg belä-
    stigt.«
    Tobias sah ihn überrascht an, und zum ersten Mal wirkte das Lächeln des dicken Mannes nicht aufgesetzt, sondern echt. »Oh, ich verstehe«, sagte er. »Ihr habt absichtlich nichts gesagt, um niemanden zu beleidigen. Aber das 41
    braucht Ihr nicht. Wir finden diesen Gestank ebenso widerwärtig wie Ihr. Auch wenn wir uns wahrscheinlich daran gewöhnt haben - was bleibt uns auch anderes übrig?« fügte er seufzend hinzu.
    »Aber was ist es?« wunderte sich Tobias.
    »Der Pfuhl«, antwortete Bresser. »Ihr werdet ihn kennen-lernen. Aber jetzt eßt erst einmal. Wir können derweil reden oder auch danach, ganz wie es Euch beliebt.«
    Seine Frau klappte den Deckel der Kanne hoch und goß goldfarbenen, klaren Wein in den Becher. Tobias sprach ein kurzes Gebet, dann nahm er das Messer und schnitt sich einen gehörigen Kanten von dem Brot ab. Es war noch warm und roch so verlockend, daß er sich beherrschen mußte, sich nicht gleich ein ganzes Stück in den Mund zu schieben. Bresser setzte sich zu ihm, und auch Maria wollte sich einen Schemel heranziehen, aber ihr Mann scheuchte sie mit einem befehlenden Blick aus dem Zimmer. Einen Moment lang war Tobias versucht, sie zurückzurufen und ihr zu sagen, daß sie ruhig bleiben könne. Aber er begriff auch fast im gleichen Atemzug, daß er ihr damit keinen Gefallen erwies.
    Für eine Weile schwiegen sie.

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