Wolfgang Hohlbein -
auf Tobias' Gesicht gewahr wurde. Er machte eine flatternde vage Bewegung mit der Hand. »Graf Theowulf.
Ihm gehört das Land, so weit Ihr blicken könnt, und der Wald, den Ihr durchquert habt.«
»Und die Stadt?«
»Der Grund und Boden - nein«, antwortete Bresser
geheimnisvoll. Dann ging er weiter, gerade so schnell, daß Tobias ihn hätte zurückrufen müssen, um eine weitere Frage zu stellen. Gebückt trat er durch die niedrige Tür, stieß sie mit dem Ellbogen ganz auf und verschwand in den Schatten, die dahinter nisteten.
»Kommt, ehrwürdiger Vater. Hier im Haus ist es ein wenig kühler. Und ich lasse Euch gleich eine Erfrischung und zu essen bringen. Ihr müßt müde von der Wanderung sein.«
Drinnen war es tatsächlich etwas kühler als in der Glut der Mittagssonne. Außerdem roch es hier nicht nach Fäulnis, sondern leicht nach Moder, wie in einem Haus nach einem langen Winter, ehe zum ersten Mal die Fenster wieder geöffnet wurden.
Pater Tobias konnte nicht viel sehen; die Tür stand zwar offen, aber sie war so schmal, daß selbst seine schlanke Gestalt sie fast völlig ausfüllte und das wenige Sonnenlicht aussperrte. Immerhin erkannte er, daß sie sich in einer kurzen, zu drei weiteren Türen führenden Diele befanden. Zur Rechten führte eine schmale, sehr steile Treppe ohne Geländer ins obere Stockwerk. Der Raum war sehr niedrig; wenn die anderen Zimmer auch nicht höher waren, würde er sich in diesem Haus nur geduckt bewegen können. Die Balken unter der Decke waren weder verkleidet noch mit Schnitzereien verziert, und der Bewohner dieses Hauses hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Wände zu kalken. Das Haus wirkte verwahrlost; nicht so sehr heruntergekommen, sondern unbewohnt, als hätte es lange Zeit leergestanden.
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Dieser Eindruck vertiefte sich noch, als Bresser eilfertig vor Tobias herlief und die Tür ganz am Ende der Diele auf-stieß.
Dahinter lag ein überraschend großes, aber ebenfalls sehr niedriges Zimmer. Durch zwei Fenster, in deren Rahmen gelbgefärbtes Ölpapier war, strömte helles Sonnenlicht herein, doch es enthüllte auch hier nichts als nackte steinerne Wände, eine unverkleidete Decke und rohe Holzdielen, die unter Tobias' Gewicht knarrten und ächzten. Das Mobiliar bestand lediglich aus einem Tisch, einer ungepolsterten Bank, zwei niedrigen Schemeln und einer gewaltigen Truhe.
Tobias war verwirrt. Nicht, daß er Luxus erwartet oder gar gefordert hätte - im Gegenteil: seine Zelle im Lübecker Kloster war weitaus spartanischer eingerichtet als dieses Zimmer. Eigentlich hätte er im Gegenteil erfreut sein müssen, in einem solchen Gebäude einen Bewohner von offenbar bescheidenem Lebensstil anzutreffen. Aber er war alles andere als erfreut. Dieses Haus war . . . sonderbar. Ein sonderbares Haus in einer sonderbaren Stadt; und mit einem äußerst sonderbaren Bewohner.
Bresser führte ihn zur Bank neben dem Fenster und lud seinen Beutel auf dem Tisch ab. »Setzt Euch, Pater«, sagte er.
»Ruht Euch ein wenig von der Anstrengung aus. Ich werde gleich meine Frau schicken, damit sie Euch zu essen und trinken bringt.«
»Macht Euch keine Umstände, guter Mann«, sagte Tobias, ließ sich aber mit einem dankbaren Nicken auf die Bank sinken. »Ich bin nicht hungrig.«
»Unsinn!« widersprach Bresser. »Natürlich seid Ihr hungrig. Wo habt Ihr übernachtet, wenn die Frage gestattet ist?«
»Im Wald«, antwortete Tobias. »Bei einem Köhler, der mit seiner Frau . . .«
»Ich kenne die beiden«, unterbrach ihn sein Gastgeber.
»Und ich kenne auch den Weg von ihrem Haus hierher.«
»Es sind nur ein paar Stunden.«
»Ein guter Tagesmarsch, meint Ihr wohl«, verbesserte ihn Bresser. »Ihr müßt hungrig sein.«
Tobias seufzte - aber er widersprach nicht mehr, sondern 39
zuckte nur ergeben mit den Schultern und sah zu, wie der Dicke auf seinen kurzen Beinen herumwieselte und das Zimmer verließ. Einen Augenblick später hörte er ihn draußen lautstark und in einem wenig freundlichen Tonfall nach einer Frau namens Maria brüllen.
Die Dominikaner standen nicht im Rufe, Verächter eines reichhaltigen Mahls zu sein. Niemand nahm im Ernst an, daß jemand, der das Gewand des Herrn trug, auch wirklich anspruchslos war. Und selbst die Ärmsten entwickelten eine erstaunliche Verschwörermentalität, wenn es darum ging, jemandem, der den sinnlichen Genüssen des Lebens abge-schworen hatte, das eine oder andere davon doch zukommen zu lassen. Tobias war wirklich nicht
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