Wolfgang Hohlbein -
Bauer gehörte zu jenen Menschen, deren Alter schwer zu schätzen war.
»Ja, es stimmt«, sagte Temser lächelnd, als er Tobias'
Überraschung bemerkte. »Und wißt Ihr - ein langes Leben hat so manchen Vorteil. Man beginnt, vieles anders zu sehen. Katrin ist keine Hexe.«
»Und deine Scheune?« fragte Bresser trotzig.
»Ich sagte dir bereits - es war der Blitz«, antwortete Temser scharf. »Zum Teufel, Bresser - du warst schließlich dabei. Du hast es gesehen. Was soll dieser Unsinn also?«
»Ob Blitz oder nicht«, sagte Tobias sehr rasch, um den Streit zwischen den beiden Männern zu schlichten, »man berichtete mir von . . . verschiedenen sonderbaren Dingen, die sich hier getan haben. Das verdorbene Mehl habe ich selbst gesehen.«
»Oh, das ist richtig«, sagte Temser. »Und Ihr werdet noch mehr sehen, wenn Euch Bresser nur fleißig herumführt -
was er ganz sicher tun wird. Aber das werdet Ihr überall, immer und in jeder Stadt. Wenn Ihr nur lange genug sucht, findet Ihr immer etwas Sonderbares. Es war schon immer leichter, den Teufel oder eine Hexe zu bemühen, statt die Schuld bei den Menschen zu suchen.«
»Habt Ihr dabei . . . einen Bestimmten im Sinn?« fragte Tobias.
Temser setzte zu einer Entgegnung an, dann verharrte er und schüttelte den Kopf.
Tobias schwieg noch einen Moment. Dann leerte er
bedächtig seinen Krug und warf Bresser einen auffordernden Blick zu. »Ich denke, es wird Zeit, weiterzureiten«, sagte er.
Bresser nickte und stand auf, und Temser warf Tobias 168
einen enttäuschten Blick zu und sagte: »Ich bitte Euch noch um wenige Minuten, Pater.«
»Gern.« Tobias hatte sich halb erhoben und wollte sich wieder zurücksinken lassen, aber nun stand auch Temser auf und machte eine Bewegung zur Tür.
»Begleitet mich zur Scheune«, bat er. »Bevor dieser Narr noch mehr Unsinn erzählt. Ihr könnt mit zwei meiner Knechte sprechen, die sahen, wie sie abbrannte. Und ich werde Euch beweisen, daß es ein Blitz war und nicht das Werk des Teufels.«
Bresser starrte ihn nun mit unverhohlenem Haß an, aber sein Blick schien den Bauern nur zu amüsieren. Hintereinander - und wieder gefolgt von einem halben Dutzend lärmender Kinder - gingen sie zur Scheune hinüber. Tobias hob unwillkürlich den Blick, als sie das Haus verließen.
Derwalt war nicht mehr auf dem Dach.
Dafür gewahrte er ihn im Inneren der noch halb offenen Scheune, als sie durch das Tor traten. Er stand an einem Bock, auf dem ein gewaltiger, gehobelter Balken lag, und war damit beschäftigt, die Nut für einen Keil zu fräsen. Als Tobias hinter Bresser und Temser hereinkam, blickte er kurz auf und sah dann fast ängstlich wieder auf seine Arbeit herab. Bressers Blick glitt teilnahmslos über ihn hinweg.
»Stefan! Bert!« rief Temser. »Kommt hierher!«
Die beiden Gerufenen kamen mit raschen Schritten näher.
Es waren zwei junge Männer mit offenen Gesichtern, die Tobias voller unverhohlener Neugier und Bresser voller ebenso unverhohlener Feindseligkeit anblickten.
»Pater Tobias ist gekommen, um sich nach dem Feuer zu erkundigen«, sagte Temser. »Erzählt ihm, was geschehen ist.«
Einer der beiden - der Jüngere - trat vor. Er zögerte und schien nun doch nervös zu werden.
»Nur keine Furcht«, sagte Tobias. »Erzähl einfach, was du gesehen hast.«
»Es ... es ging sehr schnell, ehrwürdiger Herr«, sagte der Knecht. »Es war ein Blitz. Ein schrecklicher Blitz, ganz dünn und so hell, daß er in den Augen weh tat.«
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Tobias wandte sich an den Älteren der beiden. »Stimmt das?«
Der Mann nickte. »Ja. Es ist so, wie Stefan sagt. Ich habe nie so etwas erlebt. Es war furchtbar. Er ... er zischte, und die Luft stank, als wäre der Teufel selbst aus der Hölle gefahren. Er war ganz dünn und . . . hatte Äste.«
»Die Scheune fing sofort Feuer«, fügte Stefan hinzu. »Wir haben versucht, zu löschen, aber es ging nicht mehr. Er hat das Dach in Brand gesetzt und ist hier in den Boden gefahren. Ihr könnt da drüben noch die Stelle sehen, wo er die Wand geschwärzt hat.«
Tobias' Blick folgte seiner ausgestreckten Hand, und tatsächlich erkannte er eine breite, rußige Spur, gezackt wie ein Blitz, unter der die Lehmziegel der Scheunenwand zu schwarzer krumiger Schlacke verbrannt waren. »Alles brannte sofort lichterloh. Wir konnten noch das Tor aufrei-
ßen, um das Vieh herauszulassen, aber die Ernte war nicht mehr zu retten. Es ist alles verbrannt.«
»Und es hatte nicht geregnet?« fragte Tobias. »Kein
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