Wolfgang Hohlbein -
ungleichen Reitern herab, und im Wohnhaus öffnete sich eine Tür, und ein grauhaariger, stämmiger Mann trat heraus, gefolgt von einer Frau seines Alters und einer Schar lärmender Kinder.
»Temser?« fragte Tobias, mit einer Kopfbewegung auf den Grauhaarigen.
Bresser verneinte. »Das ist Ulbert, der Erste Knecht. Temser ist . . .«Er beschattete die Augen mit der Hand, sah sich einen Moment suchend um, dann deutete er mit der anderen zum Scheunendach hinauf. ». . . dort. Der Mann im grünen Hemd. Seht Ihr ihn?«
Tobias blickte einen Moment in die gleiche Richtung. Er erkannte Temser eigentlich nur, weil er geschickt über die Sparren zu balancieren begann.
Sie saßen ab. Der Hofknecht nahm ihm und Bresser die Zügel aus den Händen und führte die Pferde davon, während die Frau näher kam und sich als die Bäuerin vorstellte.
Die Kinder - vermutlich Enkel der Bäuerin - umringten 161
Bresser und ihn lärmend und begannen, die beiden Fremden ohne Scheu zu betrachten - und auf Kinderart zu untersuchen, indem sie sie betasteten, an ihren Kleidern zerrten und sich allerlei Schabernack einfallen ließen. Bresser scheuchte die kleinen Plagegeister unwillig davon, während Tobias sie gewähren ließ und allenfalls dem einen oder anderen, der zu dreist wurde, durch das Haar fuhr.
Schließlich war Temser die lange Sprossenleiter herunter-gestiegen und kam mit weit ausgreifenden Schritten auf sie zu, und seine Frau kehrte ins Haus zurück, um eine kleine Mahlzeit vorzubereiten. Bresser und Tobias gingen dem Bauern entgegen.
»Ihr müßt Pater Tobias sein!« begrüßte ihn Temser, kaum daß er auf Rufweite herangekommen war. Er lächelte, und dieses Lächeln wirkte nicht aufgesetzt oder übertrieben. Der Mann freute sich wirklich, ihn zu sehen, vielleicht nicht einmal, weil er etwas von ihm wollte, sondern einfach, weil er ein freundlicher Mensch war, der gerne Besuch empfing.
»Gott schütze Euch«, antwortete Tobias und griff nach seiner ausgestreckten Hand. »Und Ihr seid Temser, nehme ich an.«
Temsers Händedruck war fest und ehrlich. Er blinzelte Tobias fast schelmisch zu, als er eine Kopfbewegung auf Bresser machte und hinzufügte: »Ich nehme an, Bresser hat Euch schon alle Schlechtigkeiten erzählt, die es über mich zu wissen gibt?«
Bresser lächelte gequält, während Tobias sich bemühte, im gleichen Tonfall zu antworten: »Offenbar gibt es wenig Schlechtes über Euch zu berichten.«
»Es gibt da einige, die anderer Meinung sind«, sagte Temser, machte aber dann eine Handbewegung, die Tobias daran hinderte, weiter auf dieses Thema einzugehen. Er war nicht sicher, ob es wirklich nur ein Scherz war.
»Ihr seid also der Heilige Mann, auf den wir alle seit Wochen warten, damit er den Zorn der Kirche auf das sündige Haupt der Hexe herabbeschwört«, sagte er spöttisch, wobei er einen Schritt zurückwich und Tobias mit einem Blick maß, als sähe er ihn überhaupt jetzt das erste Mal.
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»Ich muß gestehen, ich habe mir Euch . . . anders vorgestellt.«
»Wie denn?« erkundigte sich Tobias.
Temser zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht«,
gestand er. »Anders eben. Vielleicht älter. Grimmiger?«
Es war eindeutig eine Frage, aber er gab Tobias gar keine Gelegenheit, sie zu beantworten, sondern deutete zum Haus.
»Kommt herein, ich schätze mich glücklich, Euch in meinem bescheidenen Haus zu wissen. Ihr müßt durstig sein, wenn Ihr den ganzen Weg von Buchenfeld bis hierher durchgerit-ten seid.«
»Das sind wir nicht«, antwortete Tobias. »Zuvor machten wir beim Müller Halt.«
Temser verzog das Gesicht. »Dann braucht Ihr erst recht einen guten Schluck«, sagte er. »Ihr schlagt mir doch die Einladung nicht ab, mit uns zu speisen?«
»Ich fürchte, doch«, antwortete Bresser an Tobias' Stelle.
»Wir können nicht sehr lange bleiben. Pater Tobias möchte heute noch den Grafen aufsuchen.«
Temser war überrascht, und Tobias glaubte zu spüren, daß es nicht unbedingt eine angenehme Art von Überraschung war. Doch er beherrschte sich und sprach nichts von alledem aus, was ihm auf der Zunge liegen mochte, sondern zuckte nur mit den Schultern. »Aber einen Krug Bier trinkt Ihr mit uns, oder? Und eine kleine Wegzehrung könnte sicher auch nicht schaden. Es ist noch eine gute Stunde bis zum Schloß.«
»Gern«, antwortete Tobias rasch, ehe Bresser wieder an seiner Statt antworten konnte. Plötzlich lächelte er und hielt sich demonstrativ mit beiden Händen das verlängerte
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