Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall
ging er um das Haus herum und rief erneut. Keine Reaktion. Eine Doppelgarage lag hinter einem scheinbar wilden Rebenwuchs versteckt. Sie stand offen und war leer. Wie es schien, war niemand zu Hause. Doch wer würde Haus und Hof unverschlossen zurücklassen, wenn es nicht einen triftigen Grund dafür gab? Er entdeckte eine Tür, die von der Garage ins Innere des Anwesens führte. Sie gab ihm den Anstoß, der Sache auf den Grund zu gehen. Durch die Tür gelangte er in einen Gang, der direkt in die Villa führte.
Dort hing, zwischen zwei nach oben führenden Treppenaufgängen, ein mächtiger Lüster von der Stuckdecke herab. Kilian blickte staunend nach oben und bewunderte die filigranen Arbeiten an der Decke und das Lichtspiel der geschliffenen Kristalle.
Zu seinen Füßen waren Teppiche mit arabischen Mustern ausgelegt, und neben der Eingangstür stand eine verschnörkelte Kommode unter einem goldeingefassten Spiegel, der wellig verzerrt sein Ebenbild zeigte. Darin erkannte er den Zugang zum Salon hinter sich. Er ging hinein und stieß auf alles andere als ein gepflegtes und behagliches Nest. Hier sah es nach Aufbruch aus. Umzugskartons, teils ausgepackt, teils verschlossen, stapelten sich bis zur Decke. Manche waren an der Seite aufgerissen, und der Inhalt verteilte sich im Raum. Das Regal, das sich gegenüber der Fensterfront erstreckte, war umgeworfen, und der Schrank neben dem Kamin stand wie zahnlos offen ohne Schubladen. Sie lagen verstreut auf dem Boden herum.
»Fast wie in meinem Taubenschlag«, sagte er leise zu sich, »da fühlt man sich ja gleich wie zu Hause.«
Er verließ den Salon und wagte einen Blick in die anderen Räumlichkeiten im Erdgeschoss. Auch hier war ganze Arbeit geleistet worden. Wohin er auch sah, der gesamte Hausrat, Papiere, Bücher und Bilder lagen verstreut am Boden.
Das sah mehr nach einem Einbruch aus als nach einem Einzug, dachte er, als er hörte, wie eine Tür leise ins Schloss gedrückt wurde. Er zog seine Waffe und schlich, auf alles gefasst, zum Eingangsbereich vor. Hier war nichts festzustellen. Aber in der Küche, die vom Gang abzweigte, hörte er erneut ein Geräusch. Metall auf Metall. Dann, fast unmerklich, wie jemand vorsichtig eine Schublade schloss. Er machte den entscheidenden Schritt vorwärts und erkannte jemanden, der ein langes Messer in der Hand hielt und jemand anderem ein Zeichen gab, sich still zu verhalten.
Kilian stürmte in die Küche. »Polizei! Hände hoch!«, rief er und hielt mit der Waffe auf eine Frau an. In ihrer Begleitung ein Mädchen, das auf der Eckbank kauerte.
»Gehen Sie weg!«, schrie die Frau und hob drohend das Messer.
»Ich sagte Hände hoch und weg mit dem Messer«, wiederholte Kilian.
Die Frau stellte sich schützend vor das Mädchen.
»Verschwinden Sie«, schrie sie ihn an. »Es gibt hier nichts für Sie zu holen.«
Kilian erkannte in ihr keine Gefahr, senkte die Waffe und zeigte seinen Ausweis. »Keine Sorge, ich bin wirklich von der Polizei.«
Erleichtert legte sie das Messer zur Seite.
»Wie heißen Sie?«, fragte die Frau und nahm ihr Kind tröstend in die Arme.
»Kriminalhauptkommissar Kilian«, antwortete er. »Ich nehme an, Sie wohnen hier.«
Kilian steckte die Pistole, die dem Mädchen nachhaltig Angst einflößte, in das Halfter zurück.
»Ja, ich habe hier gewohnt. Ab heute aber nicht mehr.«
»Sie sind Frau Stahl?«
»Ich war seine Frau. Seit heute bin ich seine Witwe«, sagte sie und setzte sich mit dem Mädchen auf die Eckbank.
»Sie wissen also schon …«
»Polizeidirektor Oberhammer hat mich angerufen und gebeten, dass ich ins Kommissariat komme. Er wollte ein paar Dinge besprechen, bevor ich meinen Mann identifiziere.«
Die Frau machte auf Kilian keinen sonderlich trauernden Eindruck. Sie sprach, als ob sie täglich Tote identifizieren müsse. »Sie nehmen den Tod Ihres Mannes, wie es scheint, sehr gefasst.«
»Früher oder später hatte es dazu kommen müssen. Das war mir von Anfang an klar. Schauen Sie nur, wie es hier aussieht. Dieses Mal haben sie noch nicht mal gewartet, bis ich alles ausgepackt und verstaut hatte.«
»Passiert Ihnen das öfters?«
»Nicht oft, aber einmal im Jahr reicht.«
»Haben Sie eine Ahnung, wer das gemacht hat?«
»Die Personen wechseln. Die, die dahinter stecken sind aber immer die Gleichen.«
»Und, wer sind die?«
»BND, BKA oder der Verfassungsschutz. Die wechseln sich ab. Einmal ist der dran, dann wieder mal ein anderer. Und wenn sie sich nicht einigen
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