Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall
können, kommen sie alle zusammen.«
»Was wollen die von Ihnen?«
»Nicht von mir. Für mich. Sagen die. Seit mein Mann in die öffentliche Verwaltung gegangen ist, heißt es immer nur Sicherheit, Sicherheit, Sicherheit. Dann kämmen sie das ganze Haus durch und suchen, was ihre Vorgänger installiert haben. Auf Mikros und Kameras sind sie ganz besonders scharf. Jeder, der eins findet, kriegt von seinem Boss einen Klaps auf den Hintern und eine Belobigung für die Akte. Seit Jahren geht das nun schon. Mein Gott, wie ich das alles satt habe.
Mit diesem neuen Job hier in Würzburg hatte er mir versprochen, dass endlich alles anders würde. Keine Überwachungen, keine Sicherheitschecks und keine Hochsicherheits-Burgen mehr, in denen du aufpassen musst, dass mein Kind nicht in einem elektrischen Zaun gegrillt wird. Ich wünschte, ich hätte ihm früher gedroht, ihn zu verlassen.«
»Wieso haben Sie es nicht getan?«
»Sie kannten meinen Mann nicht. Es war ja nicht so, dass er keinen Charme besaß. ›Liebling, nur noch das eine Mal, bitte. Es ist wichtig. Ich mache es doch nur für uns beide, damit wir eines Tages aus allem raus sind‹, hat er beteuert.«
»Aus was wollte er raus?«
»Oh, großes Staatsgeheimnis. ›Bloß keine Fragen, mein Schatz. Alles streng geheim.‹ Jetzt ist er tot, und ich bin Witwe. Witwe mit einer Tochter, die ihren Vater am Frühstückstisch für fünf Minuten gesehen hat … Gott sei Dank ist das wenigstens vorbei.«
»Sie trauern nicht sehr um ihn.«
»Ich weiß. Ich bin eine schlechte Ehefrau, Mutter und wahrscheinlich eine noch schlechtere Geliebte gewesen. Glauben Sie mir, eines der drei hätte mir gereicht.
Ihm aber nicht. ›Du bist die Frau des Regierungspräsidenten, du musst dich zeigen, repräsentieren, das Spiel spielen …‹ und dieses ganze Gerede. Auch diesen Bunker in Form eines Schlosses wollte ich nie haben. Er hat’s mir angepriesen wie Sauerbier. ›Meine größte Aufgabe erwartet mich in Würzburg. Du wirst auf einem Schloss leben mit Blick über die Stadt. Sie werden dich hofieren, auf Empfänge einladen, du wirst selbst welche geben …‹ und so weiter. Meine Ruhe wollte ich haben. Nichts weiter, nur Ruhe und Zeit für das Kind, ein kleines Haus im Grünen, einen Hund oder eine Katze, ein Brüderchen für Sabrina und einfach in Ruhe alt werden. Mehr nicht. Zum Teufel mit dem Schloss und dem ganzen Firlefanz drumherum.«
Frau Stahl nahm Kilian den Wind aus den Segeln. Mit einer trauernden Witwe dieser Art hatte er nicht gerechnet.
»Hatte ihr Mann einen Feind? Jemand, der ihm das alles hier nicht gönnte?«
»Einen?!«, lachte sie lauthals. »An jedem Finger zwei. Was glauben Sie denn, wie man in nur so kurzer Zeit Karriere macht? Mein Mann war noch nicht einmal fünfzig. Seit wir uns damals in Bonn kennen lernten, nahm das Heer seiner Feinde unaufhörlich zu. Es wuchs an allen Orten, an denen wir uns länger als einen Monat aufhielten. Er hatte die sonderbare, aber effektive Begabung, Leute, die ihm im Weg standen, leise und gründlich zu entfernen. Wie er das gemacht hat, ist mir bis heute ein Rätsel. Auf jeden Fall hatte er immer zu jedem eine Information parat, die ihm den Kopf kosten konnte. Dieses Mal ist wohl etwas schief gelaufen … Nur, so leicht wollte er sich offensichtlich nicht geschlagen geben.«
»Sie glauben also nicht, dass Ihr Mann Selbstmord verübt hat?«
»Er hatte ein sehr ausgeprägtes Selbstwertgefühl. Ihm konnte nichts und niemand Angst einjagen. Dafür sei er zu gut gewappnet, hat er geprahlt. Wenn er wollte, so könnte er den Kanzler stürzen. Weiß der Herr, was er da wusste. Vielleicht hat
er in seinem Größenwahn auch den Mund zu voll genommen. Nein, Wolfgang hätte sich nie selbst das Leben genommen.«
»Wieso wollte Ihr Mann ausgerechnet nach Würzburg? Für die Karriere gibt es doch bestimmt bessere Positionen und Perspektiven.«
»Hab ich ihn auch gefragt. Ob er jetzt völlig bescheuert sei. Ausgerechnet zurück nach Würzburg, wo er sich damals verdrücken musste.«
»Weshalb eigentlich?«
»Wolfgang hat in den siebziger Jahren hier studiert. Dann gab’s irgendwann mal eine riesige Aktion wegen ein paar Professoren. Er muss zusammen mit einem Kommilitonen ziemlich gegen sie gewütet haben, bevor zuerst die Professoren und dann er und der andere die Stadt Hals über Kopf verließen. Mehr weiß ich auch nicht. Er hat’s mir mal erzählt, als er betrunken war. Dabei hatte er sich vor Lachen den Bauch gehalten.
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