Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall
es mir ein Fest ist, ehemalige Stasi-Leute anzupinkeln, sondern es geht einfach darum, dass das eine Hammer-Story ist, und ich verstehe nicht, dass du uns das ausreden willst. Und was ich noch weniger verstehe ist der Umstand, dass du doch selbst Journalist bist. Oder hast du etwas zu befürchten?«
»Ich bestimmt nicht«, wehrte sich Walter, »aber man soll die Toten ruhen lassen. Sonst gibt es überhaupt keine Zukunft mehr in diesem Land. Aber das kapiert ihr nicht. Ihr wollt einfach nur Stunk machen. Die fette Schlagzeile. Das ist euer Ziel. Keine Ahnung von ausgewogenem Journalismus. Geht doch zur Bild, da gehört ihr hin.«
Walter wandte sich ab und stürmte zur Tür hinaus. Kilian nahm er in seiner Wut gar nicht wahr.
»Was ist denn hier los?«, fragte Kilian. »Das ist ja noch schlimmer als bei uns.«
»Das ist normal«, antwortete einer der Jung-Journalisten.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich interessiere mich für die Vorgänge aus dem Jahr 1975 an der Uni. Kann mir jemand von Ihnen dazu etwas sagen?«
Die beiden schauten sich an und lachten: »In dem Jahr bin ich geboren«, sagte einer. »Am besten, Sie fragen unseren Kriegsverhinderer. Der ist seit einer Ewigkeit hier. Der gehört wahrscheinlich schon zum Inventar.«
»Wo kann ich ihn finden?«
»Den Gang runter, zweite Tür links.«
Kilian klopfte gegen die Glastür.
»Ja, verdammt!«, schrie Walter. »Seit wann wird hier geklopft?!«
Kilian trat ein. »Na, du bist heute ja guter Laune.«
»Kein Wunder, wenn du es den ganzen Tag mit solchen Möchtegern-Journalisten zu tun hast. Keine Ahnung, worüber sie schreiben und kein bisschen Gespür für Geschichte. Die sollen zum Fernsehen gehen. Da gehören die hin. Genau, Explosiv oder Die Reporter. Diese Hetzmagazine. Das passt zu denen wie die Faust aufs Auge. Vor die Kamera stellen und Müll produzieren, den sie vorher in der Kloake gesammelt haben. Von richtigem Journalismus, so wie wir ihn früher gelernt haben, solides, verantwortungsbewusstes Handwerk, Egon Erwin Kisch, diese Dinge kennen sie nicht. Wollen sie auch nicht. Zum Fernsehen sollen sie.«
»Kannst du mir was über die Vorfälle von 1975 an der Uni sagen?«
Walter zuckte zusammen, als hätte er einen Schlag ins Genick bekommen. »Was willst du? Hab ich nicht schon genug mit diesen Nasenbohrern am Hals? Jetzt kommst du und willst in alten Geschichten rumrühren.«
»Wo ist das Problem?«
»Kein Problem. Überhaupt keines«, wiegelte Walter ab.
»Na, wunderbar. Dann schieß los.«
»Kilian, das ist jetzt bald dreißig Jahre her. Was willst du mit den alten Geschichten?«
»Den Mord an Stahl aufklären.«
»Wieso Mord? Ich denke, er ist aus dem Fenster gestürzt?«
»Ist er auch. Nur die Freiwilligkeit ist mehr als zweifelhaft. Aber das behältst du vorläufig für dich. Ich will bis zur offiziellen Presseerklärung nichts davon lesen.«
Walter legte seine Stirn in Falten und kratzte sich nervös am Kopf. »Okay«, sagte er schließlich. »Eigentlich bin ich dagegen. Aber, wenn die Sache so ausschaut, dann sollten wir drüber reden.«
Walter stand auf und nahm Kilian mit ins Archiv. Dort ließ er sich die Bände aus dem Jahr 1975 geben, schlug die betreffenden Seiten auf und wies auf die jeweiligen Artikel hin.
»Stahl war in seiner Uni-Zeit politisch ziemlich aktiv. Man wusste, nein, ich wusste nicht, zu welchem Lager ich ihn rechnen sollte. Vielleicht war ich noch zu jung. Ich hatte gerade erst mein Volontariat hinter mir. Auf jeden Fall ging es bei der ganzen Geschichte um die Stationierung von Kampfflugzeugen mit neuen Waffensystemen ganz in der Nähe von Würzburg, und zwar auf dem Giebelstädter Air-Force-Flugplatz. Irgendwie war die Nachricht nach draußen gedrungen und hatte für ganz schöne Aufregung gesorgt.«
»Wieso eigentlich? Die Stationierung derartiger Systeme in Grenznähe war doch nichts Besonderes.«
»Der strittige Punkt war, dass man nicht genau wusste, ob die Kampfflugzeuge mit Abwehrwaffen für konventionelle Kriegsführung bestückt waren oder ob sie Atomsprengköpfe hatten oder gar als Erstschlagswaffen einsetzbar waren. Das brachte einige Leute zu dem Schluss, dass die eigentliche Bedrohung nicht aus dem Osten kam, sondern nur als Vorwand diente, um entsprechend größere Waffensysteme, wie die Pershing, in Deutschland politisch durchzusetzen.«
»Und wie kam da Stahl mit ins Spiel?«
»Er heizte die Stimmung gegen zwei Professoren an, die sich für eine Stationierung öffentlich stark
Weitere Kostenlose Bücher