Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall
ihr bereitwillig als Schild gegen den empfindlich kühlen Westwind. Sie streichelte seine Brust und legte sich in seinen Arm. Bent beugte sich zu ihr herab und küsste sie. Julia war jedes Mal der Ohnmacht nahe, wenn sie das Salz und die Wärme seiner Lippen spürte.
»Ich wünschte, die Zeit bliebe stehen und ich könnte für immer in deinen Armen liegen«, sagte sie.
»Dagegen hätte ich nichts einzuwenden. Aber ich fürchte, die Welt um uns herum versinkt in Chaos und Krieg«, antwortete Bent.
»Was hat dich eigentlich dazu gebracht, für ein Friedensinstitut zu arbeiten?«
»Verantwortung. Ich denke, es war die Einsicht, dass man das Schicksal nicht aus der Hand geben darf und täglich dafür einstehen muss, dass ein fürchterlicher Krieg wie der letzte nicht noch einmal passiert.«
Julia bewunderte ihn. Bent war so selbstlos und aufopfernd. In den letzten sechs Monaten hatte er nie etwas von ihr verlangt, hatte immer nur gegeben. Selbst die Einladung für zwei Wochen Urlaub mit ihm an der Küste ließ er sich nicht ausreden. Er wollte für alles aufkommen und ihr seine Heimat zeigen.
»Ich fürchte, dass wir wieder auf ein Desaster zusteuern«, begann Bent.
»Welches Desaster?«, fragte sie.
»Du siehst doch selbst, was zurzeit zwischen Moskau und Washington abläuft. Keiner traut dem anderen, keiner will nur einen Fingerbreit von seiner Politik abweichen, und keiner unternimmt etwas dagegen. Ich werde noch wahnsinnig, wenn ich das weiter mit anschauen muss.«
»Keine Sorge. So weit wird es nicht kommen. Beide werden rechtzeitig erkennen, dass sie in eine Sackgasse geraten sind.«
»Du meinst, so wie in Kuba? Es hat nur so viel gefehlt, und wir hätten die Katastrophe erlebt. Nein, ich glaube nicht mehr an eine Verständigung. Dafür sind die Systeme viel zu verschieden. Man muss da an einer ganz anderen Schraube drehen.«
»Welche meinst du?«
»Gleichgewicht. Beide müssen über die gleichen Voraussetzungen verfügen, beziehungsweise über die gleichen Ausgangspositionen. Dann wird ein drohender Konflikt unwahrscheinlich, weil keiner die Oberhand über den anderen besitzt.«
»Und wie soll das funktionieren? Das ist doch kaum umsetzbar bei den verschiedenen Wirtschafts- und Politiksystemen.«
»Eben. Der Osten verfügt nicht dauerhaft über die Gelder und die Unterstützung von anderen Staaten wie der Westen.«
»Na, das würde ich etwas anders sehen. Konventionell sind die Russen dem Westen doch weit überlegen.«
»Alles Attrappen oder nicht einsatzfähig. Wir haben Luftaufnahmen und Berichte geflüchteter Armeeangehöriger, die von einer katastrophalen Versorgungslage, selbst beim Militär, sprechen. Nur ist das im Westen nicht bekannt, und wenn doch, dann werden diese Meldungen unterdrückt, um die eigene Aufrüstung zu rechtfertigen.«
Julia dachte über Bents Worte nach. Ganz Unrecht hatte er mit seiner Einschätzung nicht. Die Berichte und Aktenvermerke, die über ihren Schreibtisch im Auswärtigen Amt gingen, bewirkten bei den jeweiligen Amtsinhabern wenig. Sie hatten genaue Vorgaben von der NATO oder direkt von den Amerikanern bekommen, was weiterzuleiten ist oder was in den Papierkorb gehört. Egal, wie wichtig die Information auch gewesen sein mochte. Nichts durfte dem gemeinsamen Vorgehen unter amerikanischer Führung zuwiderlaufen. »Manchmal kommt es mir auch komisch vor, was die Oberen mit bestimmten Informationen anstellen. Aber was soll’s. Dafür sind sie ja schließlich gewählt.«
»Siehst du«, entgegnete Bent barsch, »das ist exakt die Einstellung, mit der wir offenen Auges in die Katastrophe laufen. Wir wissen alles, unternehmen aber nichts.«
Julia erschrak ob der ungewohnten Reaktion Bents.
»Entschuldigung, ich wollte dich nicht verletzen, aber …«
»Du verletzt nicht mich damit, sondern dich selbst und alle anderen, die für den Frieden eintreten. Siehst du das nicht? Ich spreche von aktiver Friedenspolitik, und du legst deine Hände in den Schoß. Ich glaube, du verstehst mich einfach nicht.«
»Natürlich verstehe ich dich«, sagte Julia ängstlich und legte ihre Arme um seinen Hals. Doch er riss sich los.
»Nein, das tust du nicht. Du verstehst weder mich noch meine Arbeit. Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe.« Bent stand auf, aber Julia hielt ihn fest.
»Was … was ist los mit dir? Was habe ich getan?«
»Nichts. Das ist es ja. Du tust nichts. Weder bei mir noch in deiner Verantwortung als Bürgerin deines Landes.«
»Was soll ich denn
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