Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall
tun?«
Bent kniete nieder und schaute ihr tief in die Augen. »Sorge dafür, dass alle die gleichen Chancen haben. Sorge dafür, dass keiner das Übergewicht bekommt.«
»Und wie soll das gehen?«
»Verschaffe mir Informationen aus dem Auswärtigen Amt, und ich werde sie an geeigneter Stelle einsetzen, damit das Gleichgewicht gewahrt bleibt.«
»Ich soll für dich spionieren?«
»Nicht für mich. Für den Erhalt des Friedens in einer verrückt gewordenen Welt. Und das hat nichts mit Spionage zu tun, sondern mit Verantwortung und Moral.«
Julia war wie vom Blitz getroffen. »Ich kann das nicht. Ich …«
»Du willst es nicht. Das ist es. Und wie ich erkennen muss, habe ich mich in dir getäuscht. Du bist genau wie alle. Nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Kein Interesse am anderen, an dessen Arbeit und an dem, wofür er einsteht. Ich glaube, wir sollten uns trennen. Am besten sofort.«
Bent stand unvermittelt auf und ging zum Haus zurück. Julia blieb sprachlos zurück. Noch vor ein paar Minuten hatte sie ihren Traum in den Armen gehalten, ihn geliebt, und jetzt wollte er nichts mehr von ihr wissen. Das konnte nicht sein. Sie rief ihm hinterher, doch Bent hörte nicht. Er wollte nicht hören.
Julia wusste, wenn sie auf seine Bedingung einginge, wäre sie
verloren. So verloren, wie sie es war, bevor sie Bent kennen lernte. Er war es, der sie aus ihrer Hölle befreit hatte, und er war es, der sie wieder dorthin zurückbringen konnte. Eines wurde ihr schlagartig klar: Sie war in eine Zwickmühle geraten, die ihr keine Chance ließ. Egal, wofür sie sich entschied, sie würde den Kürzeren ziehen. Aber Bent verlieren? Nie wieder in seinen Armen liegen, nie wieder seine Nähe spüren, nie wieder gemeinsame Nächte verbringen? Nein, nur das nicht, sagte sie sich. Alles andere konnte kommen oder auch nicht. Letztlich war es weit entfernt. Sie stand auf und rannte ihm nach.
Eine Hand rüttelte an Julias Schulter, und sie erwachte aus ihrem Dämmerschlaf. Sie blickte auf und sah, dass sie in Würzburg angekommen war.
*
»Ich wollte ihn nur fragen, ob er etwas über die Vorgänge von 75 sagen kann. Mehr nicht«, versicherte Kilian.
»Und du bist den Engelhardt nicht angegangen?«, fragte Schröder.
»Nein, überhaupt nicht. Er hat mich wie einen Schulbuben abfrisiert und wollte mir den Fall entziehen.«
Schröder hörte Kilian aufmerksam zu. »Gut«, sagte er schließlich, »ich treffe den Innenminister gleich beim Bankett. Dann werde ich das mit ihm und dem Engelhardt klären. In der Zwischenzeit hältst du dich zurück. Kein unnötiges Aufhebens wegen der Sache. Klar?«
Kilian nickte zufrieden und schnaufte erleichtert durch.
»Apropos«, fragte Schröder, »was interessierst du dich für Geschichten aus dem Jahr 1975?«
»Ich glaube, Stahl hat für einen Nachrichtendienst gearbeitet. Die ganze Sache stinkt von vorne bis hinten.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich hab noch keine Beweise in der Hand, aber alles weist darauf hin, dass Stahl einen besonderen Grund gehabt haben muss, um nach Würzburg zurückzukommen.«
»Logisch. Er sollte der neue Regierungspräsident werden.«
»Ja, aber da muss noch etwas anderes sein. Was, weiß ich noch nicht, aber ich finde es heraus.«
»Mach, was du willst, solange du das Treffen nicht störst«, sagte Schröder und wollte in den Saal abdrehen, als Kilian nachfasste.
»Was ist eigentlich so verdammt wichtig an dem Treffen, dass du mich jedes Mal darauf hinweist?«
»Kümmere dich um deine Angelegenheiten und stell keine dummen Fragen. Ansonsten kannst du schneller in diesem Kaff verrotten, als du denkst.«
Schröder ließ Kilian in der Lobby stehen und betrat den Saal, in dem das Bankett auf die Staatsgäste wartete. Kilian fühlte sich nicht sonderlich wohl nach Schröders Antwort. Denn sie war mehr als das. Sie war die eindeutige Drohung, nicht mehr zu tun, als Schröder wollte. Doch warum? Was gab es zu verbergen, was die Gäste nicht mitbekommen sollten? Wenn Stahl ein Spion gewesen war, für wen hatte er dann gearbeitet? Würde er bei diesem Treffen auf »alte Kameraden« treffen, die ihm vielleicht nicht sonderlich gewogen waren, oder reichte allein sein Erscheinen aus, dass Unruhe aufkam?
Nach dem, was er bisher alles in Erfahrung gebracht hatte, zeichnete sich für ihn ein Bild ab, das nebulöser kaum hätte sein können. Zum einen hatte er einen toten Stahl, der kaum freiwillig, sondern eher durch einen Unfall oder gar durch fremde Hand zu Tode
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