Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
hatte.
In einem Gewerbepark am nordöstlichen Rand des Stadtgebietes war im Gebäude einer renommierten Softwarefirma ein weiblicher Leichnam aufgefunden worden. Die Ermittlungen gestalteten sich anfänglich recht erfolgversprechend, geriet doch der Vorstandsvorsitzende dieses Unternehmens schon bald in dringenden Tatverdacht.
Da der mit einem Professorentitel dekorierte, potentielle Mörder bzw. Totschläger im Besitz der Gebäudeschlüssel war, hätte er die beste Gelegenheit gehabt, den am Wochenende verschlossenen und mit einer Alarmanlage gesicherten, modernen Firmenkomplex unauffällig zu betreten. Die Indizienlage wurde immer erdrückender, zumal bereits nach kurzer Zeit ein mögliches Tatmotiv aufleuchtete.
Leider hatte die ganze Sache einen entscheidenden Haken gehabt: Der Hauptverdächtige wartete mit einem hieb- und stichfesten Alibi auf, das ihm der Justiziar der Firma, ein Rechtsanwalt mit Namen Dr. Frederik Croissant, geliefert hatte.
Vor etwa zwei Jahren hing in Tannenbergs Dienstzimmer über mehrere Wochen hinweg eine Geländekarte an der Wand, die einen detaillierten Überblick über die nähere Umgebung der Softwarefirma ermöglichte. Nahezu täglich stand er davor und betrachtete sie intensiv. Immer und immer wieder maß er die kürzeste Entfernung vom Firmengebäude zum Wohnhaus des Anwalts auf der Eselsfürth ab, berechnete die dafür zu Fuß oder mit dem Fahrrad benötigte Zeit ...
»Wolf«, polterte plötzlich der Rechtsmediziner in Tannenbergs Erinnerungsreise hinein. »Da vorne an der Tankstelle stehen Schauß und Geiger.«
»Ja und? Da habe ich sie ja auch hinbestellt«, knurrte er übellaunig zurück. Er konnte es einfach nicht ausstehen, wenn man ihn bei seinen gedanklichen Exkursionen störte.
»Hallo, Wolf, schön, dass es dir gut geht und sich die Sache jetzt bald aufklärt«, empfing ihn Michael Schauß mit einem strahlenden Gesichtsausdruck.
»Wie geht’s Sabrina?«, war das Erste, was Tannenberg von ihm wissen wollte.
»Ich soll dir liebe Grüße von ihr bestellen. Sie ist noch in der Klinik. Aber es ist zum Glück nur eine Fleischwunde.«
»Gott sei Dank!«, atmete Tannenberg erleichtert auf. Dann stieg er aus dem Wagen und führte eine kurze Dienstbesprechung durch, bei der die weitere Vorgehensweise besprochen wurde.
»Sollen wir nicht besser das SEK verständigen oder wenigstens noch ein paar Kollegen von der Streife?«, fragte Geiger, dem das geplante Vorhaben anscheinend nicht sonderlich geheuer war. »Wer weiß denn schon, wie viele dieser Gangster sich in der Villa befinden.«
»Keine Zeit«, stellte Tannenberg kurz und bündig fest. »Wir müssen sofort los und den Überraschungseffekt für uns ausnutzen. Wir schaffen das schon. Geiger, hast du dir inzwischen ’ne neue Waffe besorgt?«
»Ja, Chef. Aber, wo ist denn meine alte?«
Tannenberg reagierte nicht auf diese Frage. Mit einem Wink signalisierte er seinen Kollegen den Beginn des frühmorgendlichen Einsatzes. Nur Geiger zögerte in Erwartung einer verbalen Reaktion seines Chefs. Fouquet stieß ihn unsanft von hinten an und drückte ihn in das vor ihm stehende Auto.
Dr. Schönthaler und Kommissar Schauß parkten ihre PKWs unweit der Bahnstrecke auf einem uneinsichtigen kleinen Waldparkplatz. Tannenberg kannte diese Gegend nicht nur aufgrund seines intensiven Kartenstudiums wie die eigene Westentasche, er hatte sich in seiner Jugend oft mit seinen Freunden auf den damals obligatorischen Bananensattel-Fahrrädern hierher aufgemacht. An den vom Parkplatz nur einen Steinwurf entfernt gelegenen Fischweihern hatten sie ihre Zelte aufgeschlagen und manch ein feuchtfröhliches Gelage veranstaltet.
Dr. Croissants herrschaftliche Jugendstilvilla stand etwas versteckt im hinteren Teil des idyllisch gelegenen Eselsbachtals. Von der B 40 aus war sie über eine schmale Asphaltstraße zu erreichen. Vom Wald her durch einen parallel zu den Eisenbahnschienen verlaufenden Forstweg. Dieser von der Villa aus nicht einsehbare Schleichpfad ermöglichte eine gefahrlose Annäherung an den rückwärtigen Bereich des noblen Gebäudes.
Zwar war das Grundstück auch auf dieser Seite von einer hohen Backsteinmauer eingefriedet und mit einem massiven Metalltor gesichert, aber auch dieses Hindernis entlockte Karl Mertel lediglich ein dezentes Schmunzeln. Mit ein paar geschickten Handgriffen entriegelte er das Zylinderschloss und setzte damit auch gleichzeitig die Alarmanlage außer Gefecht.
Tannenbergs logistisch ausgefeilte Planung
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