Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
»Ist ja auch gleich vorbei.«
»Mach schon! Das tut wirklich saumäßig weh«, zischte Tannenberg durch die zusammengebissenen Zahnreihen.
Währenddessen kramte Heiner aus der rechten Gesäßtasche seiner Hose ein gefaltetes Blatt heraus und klappte es mit fahrigen Händen auseinander. Nach einem kurzen Räuspern legte er mit lauter Stimme los:
»Wenn du fühlst dich kerngesund,
Tu’s ja keinem Mediziner kund.
Und plagen dich mal schlimmre Dinger,
Lass auch dann vom Arzt die Finger.
Denn nimmt er dich erstmal in Augenschein,
Wird dein Leben bald vorüber sein.
Sie spielen sich gerne auf als Menschenretter,
Doch meide die Tempel der weißen Götter.
Gedenke stets der nächsten Worte:
Oft geschehen dort perfekte Morde!
Manch eine segensreiche Spritzenkur,
Wird bei Bedarf geschwind zur Todestour.
Ist zwar noch die Rohfassung, und ich hab auch noch keinen Titel dafür. Aber klingt doch schon ganz gut, oder findest du etwa nicht?«
»Och, Heiner«, stöhnte Tannenberg, »lass mich doch in Ruhe mit diesem Kram. Ich hab für so was jetzt keinen Nerv. Das tut so verdammt weh!« Als er sah, dass die Ampel gerade ihre Farbe änderte, ergänzte er: »Fahr jetzt endlich los, es ist schon wieder Grün.«
»Seh ich auch, ich bin ja schließlich nicht blind«, entgegnete Heiner und brauste kopfschüttelnd los.
Als Tannenberg mit Hilfe von Notfall- und Schulkameradenbonus bereits wenige Minuten später wartend auf einer von Dr. Bohnhorsts Patientenpritschen lag, erinnerte er sich urplötzlich an Heiners Gedicht. Merkwürdigerweise war ihm besonders der Wortlaut der beiden letzten Zeilen in Erinnerung geblieben. Vielleicht deshalb, weil ihr Inhalt eine enge Verbindung zu seiner jetzigen Situation aufwies.
Jedenfalls verstärkte diese Gedichtpassage die diffusen Angstgefühle, die sich stets dann seiner bemächtigten, wenn sich ihm in absehbarer Zeit irgendein Arzt mit einer aufgezogenen Spritze zu nähern drohte. Er dachte in diesem Augenblick natürlich auch zurück an die schrecklichen Ereignisse in der Trippstadter Schlossklinik, die ihn damals unglaublich belastet hatten.
»Hallo, Tanne, was muss ich denn da hören?«, begrüßte ihn sein alter Klassenkamerad mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter. »Du hast einen Hexenschuss?«
»Ja, Kai. Das tut so sauweh!«, jammerte Tannenberg sogleich los.
»Du, hab ich dir nicht schon oft genug gesagt, du sollst dich nicht immer mit den Frauen anlegen. Die lassen sich heutzutage nämlich von uns nicht mehr alles gefallen. Die schießen scharf zurück.«
»Was? Was für Frauen?«
»Hexen! Tanne, das war ein Scherz!«
Tannenberg brummte nur kurz auf. Er brachte in seiner gegenwärtigen Lage nur wenig Verständnis für die humoristischen Eskapaden seines alten Schulfreundes auf.
»Aber warte. Das haben wir gleich!«
Die junge Arzthelferin, die gemeinsam mit Dr. Bohnhorst das kleine Behandlungszimmer betreten hatte, reichte ihrem Chef wortlos eine Spritze, die der Allgemeinmediziner sogleich mit schnellen, routinierten Handgriffen an mehreren Stellen in den oberen Bereich des tannenbergschen Gesäßes hineinjagte.
Der Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission kommentierte jede einzelne Injektion mit einem wehleidigen, wimmernden Stöhnen. Dr. Bohnhorst konnte es sich natürlich nicht verkneifen, ihn daraufhin als ›Memme‹ zu bezeichnen.
»Was hast du mir denn da eigentlich gespritzt?«, fragte Tannenberg, mit einer ängstlichen Klangfärbung seiner Stimme.
Der Arzt machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, Tanne, frag besser nicht so genau. Man muss nicht immer alles wissen.«
»Ich will’s aber wissen. Los, sag schon!«
»Na ja, das war so’n richtig schöner Pharmacocktail. Hammerhart, aber eben das Einzige, was dich schnell und dauerhaft von deinen Schmerzen befreit. Und was vor allem auch diesen vermaledeiten Schmerz/Verkrampfung/Schmerz-Kreislauf durchbricht.«
Tannenberg ließ noch immer nicht locker: » Was für Zeug ist da drin?«
Dr. Bohnhorst stöhnte sichtlich genervt auf. »Also gut, alte Nervensäge: Da sind Entzündungshemmer, Muskelrelaxanzien, Lokalanästhetika drin – reicht dir das? Ist doch auch egal. Die Hauptsache ist doch wohl, dass du so schnell wie möglich wieder körperlich topfit wirst. In deinem Job kann man schließlich von der einen zur anderen Sekunde in Extremsituationen kommen.«
Tannenberg rang sich ein gequältes Lächeln ab.
»Aber Kai, wir sind doch keine schießwütigen Rambos, die
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