Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
um die ganze Sache auffliegen zu lassen ... Doch, es gibt einen Ausweg. Aber nur dann, wenn keine Kontaktaufnahme zur Organisation erfolgt, kein Telefongespräch, nichts. Nur dann gibt es die Chance, einigermaßen heil aus der Sache rauszukommen. Aber nur dann. Alle Telefone werden überwacht. Wenn irgendjemand mitkommt, ist die Sache gestorben ... In zehn Minuten an der Baustelle des Fraunhofer-Instituts ... Ja, genau, direkt gegenüber der Uni. Einfach in den neuen Kreisel rein und von dort aus in die Baustellenausfahrt ... Doch, doch, das ist zeitlich zu schaffen ... Sicher, ich komme allein ... Ja, mein Ehrenwort.«
Anschließend sprang Tannenberg in den alten Mercedes und preschte mit Vollgas hinunter zu seinen verdutzten Kollegen. Er gab an, jetzt keine Zeit für Erklärungen zu haben. Der Verräter befinde sich bereits auf dem Weg hierher. Deshalb sei nun höchste Eile geboten. Benny und den Gerichtsmediziner wies er an, den Benz hinter eine Container-Siedlung zu fahren und sich dort so lange versteckt zu halten, bis man den Maulwurf festgenommen habe.
Gemeinsam mit Fouquet und Mertel spurtete Tannenberg die Betontreppe hinauf auf die Deckenplatte über dem 5. Geschoss, von dem aus man die gesamte Umgebung bestens im Blick hatte. Im darunterliegenden Stockwerk boten die bereits errichteten Zwischenwände und diverse großformatige Baumaterialien ideale Deckungsmöglichkeiten. Dieser Ort erschien ihm geradezu wie geschaffen für das von ihm geplante Finale Grande, erster Teil.
Es erfolgte eine kurze strategische Lagebesprechung, in deren Verlauf er seinen beiden Kollegen auch den Namen des geheimnisvollen Informanten mitteilte. Obwohl er sich diesen Überraschungseffekt liebendgerne bis zum Schluss aufbewahrt hätte, entschloss er sich schweren Herzens zu diesem Schritt. Ihm erschien das Risiko einfach zu hoch. Die Gefahr, dass Fouquet und Mertel angesichts dieses ihnen bestens bekannten Herrn unbedacht reagieren würden, war schließlich nicht von der Hand zu weisen.
Er verließ seine fassungslosen Kollegen und begab sich eine Etage höher auf seine Spähposition. Er brauchte nicht mehr lange zu warten. Etwa fünf Minuten später tauchte auf der völlig unbelebten Theodor-Heuss-Straße ein Auto auf, das sich von Osten her mit zügiger Geschwindigkeit dem Verkehrskreisel näherte.
Aufgrund der beträchtlichen Entfernung und der eingeschränkten Sichtverhältnisse konnte Tannenberg zwar den Wagentyp nicht erkennen, aber als das Auto nach der Einfahrt in den Kreisel sogleich in die Baustellenzufahrt einbog, war ihm klar, dass es sich bei dem Insassen mit hoher Wahrscheinlichkeit um den erwarteten Besucher handelte.
Der dunkle Wagen stoppte in ungefähr zwanzig Metern Entfernung vor dem Fraunhofer-Gebäude. Ein etwa 45-jähriger Mann kletterte aus einem schwarzen CLK-Cabrio, blickte sich sondierend um, ging ein paar Schritte in Richtung des fenster- und dachlosen Rohbaus, blieb stehen, ließ seine Augen suchend die hellgrauen Wände emporklettern. Mit Erleichterung registrierte Tannenberg, dass der vermeintliche Verräter sich allem Anschein nach tatsächlich ohne Begleitung hierher aufgemacht hatte.
»Ich bin hier oben«, rief Tannenberg.
»Wo? Ich seh dich nicht!«
Tannenberg hatte sich die ganze Zeit über geduckt gehalten. Nun richtete er sich in voller Körpergröße auf und ging noch einen Schritt nach vorne zur Gebäudekante hin. Nun konnte ihn der Mann erkennen.
»Hallo, Cherry. Komm zu mir hoch. Einfach die Treppe rauf.«
Gregor Kirsch, wegen seines Nachnamens allseits ›Cherry‹ genannt, war Kommissariatsleiter des K4, zuständig für Straftaten, welche die Wirtschaftskriminalität betrafen. Die beiden Hauptkommissare kannten sich zwar schon ewig, aber ihr persönliches Verhältnis war nie über das des Kollegenstadiums hinausgewachsen. Dafür unterschieden sich die beiden Männer in ihrem Wesen viel zu sehr.
Obwohl Tannenberg seinen etwas jüngeren Kollegen stets als penetrant gut gelaunten, leichtfüßigen Zeitgenossen erlebt hatte – solche Menschen waren Tannenberg von Natur aus überaus suspekt – hätte er es doch nie und nimmer für möglich gehalten, dass Gregor Kirsch bestechlich sein könnte und als Informant für das organisierte Verbrechen arbeiten würde.
Wie jedem anderen seiner Kollegen war zwar auch ihm nicht verborgen geblieben, dass der Leiter des K 4 ein teures Auto fuhr und vor kurzem ein stattliches Eigenheim bezogen hatte, zu dessen Einweihung er alle
Weitere Kostenlose Bücher