Wolfsfeder
gab.
»Sie liegen gar nicht so falsch«, erklärte
Kai. »Mit so einem Mordsinstrument aus Eisen hat man früher Wölfe gefangen. Die
eine Zacke wurde in einen Baum getrieben, so in zwei Meter Höhe, die andere mit
Fleisch beködert. Sprang dann ein Wolf nach dem Köder, blieb er mit dem
Unterkiefer an dem Haken hängen und verendete jämmerlich.«
Maike schüttelte sich. »Ich sag’s doch,
Jäger sind pervers.«
»Frau Schnur, bitte!«, entfuhr es
Mendelski. »Auf diese Art hat man Wölfe vor Jahrhunderten gejagt, als
Schusswaffen ausschließlich dem Adel vorbehalten waren. Die arme
Landbevölkerung hat solche Fallen aus der Not heraus verwendet, um ihre
Nutztiere zu schützen.«
»Schon gut. Hab’s nicht so gemeint.« Sie
deutete auf das Foto. »Und wozu der Mittelstrich?«
»Das ist eine Querstrebe«, erwiderte Kai.
»Sie fungiert als Abstandhalter zum Baum.«
»Eine grausame Falle.« Maike schob das
Foto weit von sich. »Mir ist die Z-wie-Zorro-Variante sympathischer.«
Finn rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin
und her. »Was hat so ‘n altertümliches Ding aus Eisen mit Yadira zu tun?«,
wollte er wissen.
»Gute Frage«, entgegnete Mendelski.
»Wahrscheinlich hat uns derjenige, der sie auf dem Streckenplatz abgelegt hat,
damit einen Hinweis geben wollen.«
»Hinweis? Auf was denn? Auf die
Todesursache?«
»Vielleicht.« Der Kommissar versuchte,
seine Gedanken zu ordnen. »Wolfsangeln finden sich in etlichen Ortswappen. Doch
weniger im Celleschen, sondern mehr in der Region Hannover. Das hat unter
anderem mit Hermann Löns und seinen Jagdgründen zu tun. Er pflegte unter seine
Unterschrift eine Wolfsangel zu setzen. Dort, wo sein ›Wehrwolf‹ und andere Bücher
spielen, wie in Burgwedel und in der Wedemark, beinhaltet nahezu jedes
Dorfwappen in irgendeiner Form eine Wolfsangel.«
»Hilft uns das jetzt weiter?«, fragte Kai
mit skeptischem Blick. »Anstatt Heimatforschung zu betreiben, sollten wir
lieber mal ins Internet gucken. Ich habe da ‘ne schlimme Vermutung.«
* * *
Er sollte Pirschwege harken. So
ein langweiliger Mist.
Das einsetzende Herbstwetter und der Wind
der letzten Tage hatten Laub und Feinreisig auf die Pfade geweht, die zu den
Hochsitzen und Ansitzböcken führten. Von Bartling erwartete am Wochenende
namhafte Jagdgäste vom Landwirtschaftsministerium in Hannover und hatte seinem
Forstwirt eine Liste der zu überprüfenden Kanzeln in die Hand gedrückt.
Lustlos kratzte Karl-Heinz Jagau mit der
Fächerharke über den Waldboden eines hundertzwanzigjährigen
Kiefernaltholzbestandes, der dringend der Säge bedurfte. Doch da von Bartling
wie viele andere Großgrundbesitzer in der Lüneburger Heide dem Jagdbetrieb
gegenüber der Forstwirtschaft den Vorrang gab, unterblieb vielerorts die
Waldpflege.
Immer wieder blieb er mit seinem
Arbeitsgerät an hervorstehenden kräftigen Wurzeln hängen, die zu den
umstehenden Kiefern gehörten und wie armdicke Fußangeln quer über den Pirschweg
ragten.
Da muss ich nachher noch mal mit der Axt
ran, dachte er, sonst gibt’s Ärger mit dem Chef. Gar nicht auszudenken, wenn so
ein Sesselpuper von Staatssekretär mit seinen Stiefeln an einer dieser Wurzeln
hängen bleibt und lang hinschlägt.
Erschöpft lehnte er sich an einen Baum,
streifte seine Handschuhe ab und kramte eine Zigarette hervor. Einmal mehr
schaute er unwillig auf die Uhr, doch dieser Vormittag wollte einfach nicht
vorübergehen. Immer noch zwanzig Minuten bis zur Mittagspause …
Ob ich es noch mal bei Doris versuchen
soll?, fragte er sich, während er die Zigarette mit einem Feuerzeug anzündete.
Mit den Fingerkuppen der rechten Hand fuhr er vorsichtig über die Schrammen auf
seiner Wange, auf denen sich inzwischen dicke Krusten aus Schorf gebildet
hatten.
Piet hatte ihm auch nicht helfen können.
Jagau wusste immer noch nicht, was vorgestern Nacht in den entscheidenden
Stunden passiert war und – vor allem – woher er die Schrammen hatte.
In diesem Augenblick hörte er
Motorengeräusch.
Zuerst dachte er, dass es sich um von
Bartling handeln würde, und griff automatisch zur Harke. Es sah immer blöd aus,
wenn man vom Chef während der Arbeitszeit bei einer Pause erwischt wurde.
Doch das Motorengeräusch stammte nicht vom
großvolumigen Diesel-Geländewagen seines Chefs. Das klang wie ein stinknormaler
Pkw mit einem Vier-Zylinder-Benzinmotor.
Neugierig lugte er hinter einem
Traubenkirschenbusch hervor, der ihm die Sicht auf den Waldweg versperrte.
Es war
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