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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Oehlschläger
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oder wollte er nur
bluffen, und der Zufall kam ihm zu Hilfe?«
    »Du meinst Mord oder Unfall? Das wissen
wir erst, wenn das Obduktionsergebnis vorliegt.«
    Mendelski schaute auf seine Armbanduhr.
»Apropos Obduktion. Es wundert mich schon, dass keiner anruft. Ellen wird uns
doch nicht vergessen haben?«
    »Sicher nicht.« Maike guckte böse. »Ellen
ist die Zuverlässigkeit in Person.«
    »Okay, dann weiter im Programm: die
Leichenablage im Wald.« Mendelski schrieb STRECKENPLATZ .
»Wozu das Ganze? Leg mal los mit deinem Brainstorming.«
    * * *
    Durch das geöffnete
Küchenfenster drang der kräftige Geruch von Sauerkraut und Kassler in den
Garten der Kreinbrinks. Irene Hogreve hatte sich weit aus dem Fenster gelehnt
und spähte in die Runde.
    »Herr Wiegand«, rief sie mit schriller
Stimme. »Herr Wiegand, das Mittagessen ist fertig.«
    Keine Antwort. Genau wie gestern, dem Tag,
an dem Yadira gefunden worden war. Keine Menschenseele war in dem weitläufigen,
parkähnlichen Areal zu sehen. Es blieb still – bis auf das monotone
Rauschen der alten Bäume und spärliches Vogelgezwitscher.
    Dass Kai kurz vor der Mittagessenszeit mit
seinem Freund Finn – den sie schon seiner ausgefallenen Kleidung und der
langen Haare wegen auf den Mond wünschte – einfach auf und davon war, ohne
sich abzumelden, kannte sie schon; das machte ihr nicht viel aus. Kai verzieh
sie so manches. Doch dass der Gärtner den zweiten Tag in Folge …
    Sie drehte sich abrupt um und schaute auf
die Küchenuhr über der Anrichte. Zwanzig Minuten vor eins. Das ist
ungewöhnlich, dachte die Haushälterin. Der Wiegand ist doch sonst immer die
Zuverlässigkeit in Person. Sowohl, was die Arbeit betrifft, als auch, wenn es
um die Mittagspause geht. Zur Frühstückspause um neun kam er zwar nicht ins
Haus, da versorgte er sich mit selbst geschmierten Stullen und einer riesigen
Thermoskanne voll pechschwarzen Kaffees. Zu Mittag jedoch, das hatte sich in
den letzten Jahren so eingebürgert, erschien er stets pünktlich um halb eins in
der Küche.
    Kreinbrink senior aß meist in Celle zu
Mittag – er hatte ein kleines italienisches Lieblingsrestaurant in der
Nähe seiner Kanzlei. Kai war wegen seiner Ausbildung auch selten tagsüber zu
Hause. Trotzdem kochte Irene Hogreve jeden Mittag. Für sich, für den Gärtner
und in den letzten vier Monaten auch oft für – sie stockte bei dem
Gedanken – für Yadira.
    Sauerkraut, Kassler und Salzkartoffeln,
das war nicht gerade ihre Leibspeise, musste sich die Haushälterin eingestehen.
Yadira hatte Nudel- oder Reisgerichte bevorzugt. In allen Variationen, mit
Hackfleisch, mit Geflügel, gern auch mit Fisch oder vegetarisch.
    Sie hatten sich gut verstanden, der
Wiegand und das hübsche Mädchen aus der Karibik. Yadira hatte ihm in ihrer
fröhlichen Art während des Essens ein paar Brocken Spanisch beigebracht, er
half ihr dafür beim Lernen der deutschen Namen von Blumen, Sträuchern, Bäumen
und anderen Gartenpflanzen. Schon deshalb hatte sich der Gärtner in der letzten
Zeit immer sehr auf die Mittagspause gefreut.
    Ob er unter dem Verlust litt und deshalb
nicht auftauchte? Oder ob er ihr böse war, weil sie ihn vorhin so forsch
angegangen war? Irene Hogreve wusste es nicht.
    Was sie außerdem nicht wusste, war, dass
Rolf Wiegand auch in den nächsten Tagen nicht zum Mittagessen erscheinen
sollte.
    * * *
    »Erstens: die Fundstelle. Er hat
sie dort abgelegt, damit man sie rasch findet«, legte Maike los, die diese
unkonventionelle Art der Analyse liebte. »Es war Jagd, der Wald wimmelte von
Jägern, der Streckenplatz sollte noch am selben Tag benutzt werden. Nach einem
Verstecken der Leiche sieht das jedenfalls nicht aus. Zweitens: die Art der
Aufbahrung. Da meinte es jemand gut mit der Toten. Sie war ansehnlich
hergerichtet. Würde mich gar nicht wundern, wenn dahinter so was wie eine Liebeserklärung
steckt. Der Leichenableger ging ein gehöriges Risiko ein, entdeckt zu werden,
aber das scheute er nicht. Irgendetwas muss ihn mächtig getrieben haben. Und er
muss sich gut auskennen im Wald. Er wusste von der Jagd und dem geplanten
Ablauf, er kannte den Streckenplatz und wusste auch, dass dort die gesamte
Jagdgesellschaft noch am gleichen Tag auftauchen würde.«
    Maike gönnte sich eine Verschnaufpause, da
sie merkte, dass Mendelski, der sich fleißig Notizen machte, mit dem Schreiben
nicht nachkam. Während der Stift weiter übers Papier flog, stellte er eine
Zwischenfrage. »Du tippst also auf

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