Wolfsfeder
Pagel.
Er kannte seinen dunkelblauen Volvo-Kombi.
Joachim Pagel fuhr öfter hier lang, da er einen Pirschbezirk in von Bartlings
Revier hatte. Außerdem war er der Hauptbenutzer der kleinen Jagdhütte, die
jenseits des Waldes am Rand des großen Moores lag.
Was, zum Kuckuck, treibt der Pagel mitten
am Tag hier im Busch?, fragte sich Jagau. Er überlegte. Ach ja, Herbstferien.
Lehrer müsste man sein.
Aber warum rast er denn so, fragte er sich
weiter. Er müsste die vielen Schlaglöcher in dem ausgefahrenen Waldweg doch
langsam kennen.
Zu spät. Ein dumpfes Schlagen verriet dem
heimlichen Beobachter, dass der Unterboden des Volvos hart auf dem Erdreich
aufgesetzt hatte.
Unbeirrt jagte der Wagen mit
gleichbleibender Geschwindigkeit weiter. Hohe Wasserfontänen und dunkler
Schlamm spritzten über die Kühlerhaube und zum Teil bis auf die
Windschutzscheibe, doch das schien den Fahrer wenig zu kümmern. Als das Auto
auf der Höhe des Busches war, hinter dem sich Karl-Heinz Jagau verbarg, konnte
dieser deutlich erkennen, dass Pagel allein im Wagen saß. Die rechte Hand hielt
der Lehrer ans Ohr. Offenbar telefonierte er. Trotz des hohen Tempos. Sein
Gesichtsausdruck – so empfand es jedenfalls der Forstwirt – war alles
andere als entspannt.
Deutlich sah Jagau, dass Pagel in sein
Handy brüllte.
* * *
»Ich hab’s befürchtet.«
Kai Kreinbrink nahm den Kopf ein wenig
zurück, damit auch die anderen sehen konnten, was auf dem Bildschirm zu lesen
war. Im Nachbarraum, der als Bibliothek und Arbeitszimmer seines Vaters
fungierte, stand unter anderem auch ein PC .
Kai hatte die erstbeste Internetseite zum Stichwort Wolfsangel aufgerufen.
»›Verwendung verboten‹« , las er laut vor. »›Die
Wolfsangel – wie auch Hakenkreuz und Siegrune (in doppelter Ausführung als SS -Abzeichen
bekannt) – steht auf der Liste verbotener Zeichen. … Bis 1945 galt
die Wolfsangel als Zeichen des Deutschen Jungvolkes, der späteren
Hitlerjugend … Später verwendete die ›Junge Front‹, im Jahr 1982 als
verfassungsfeindlich verboten, die Wolfsangel als Erkennungszeichen …
Ausgenommen von dem Verbot sind lediglich bereits bestehende Wappen von
Gemeinden oder Vereinen, die das Wolfsangel-Symbol enthalten.‹«
»Das bedeutet ja, dass …« Finn
schnappte nach Luft, da ihm seine Vermutung ungeheuerlich erschien.
»… dass hinter Yadiras Tod ein
fremdenfeindlicher Aspekt stehen könnte, genau«, vollendete Kai den Satz.
»Dazu würden auch die Drohbriefe passen«,
ergänzte Finn aufgebracht. »Aber wer macht so was – hier bei uns?«
»Im Raum Eschede gibt es, wie überall, ein
paar Neonazis«, ergänzte Kai. »Meist verkappte Einzelgänger. Sollte etwa einer
von denen …«
Finn zuckte ratlos mit den Schultern.
Mendelski hatte die beiden jungen Männer
ganz bewusst erst einmal gewähren lassen. Jetzt ruderte er zurück.
»Eine Spur unter vielen«, sagte er, um die
erhitzten Gemüter zu beruhigen. »Mehr nicht. Ich muss Sie jetzt bitten,
Diskretion und vor allem einen kühlen Kopf zu bewahren. Es kann durchaus sein,
dass wir die richtige Spur verfolgen. Genauso wahrscheinlich ist es aber, dass
man uns eine Finte unterschiebt und wir völlig danebenliegen. Überlassen Sie
also bitte uns die nötigen Nachforschungen – und halten sich selbst aus
den Ermittlungen heraus. Haben wir uns verstanden?«
»Aber ja.« Kai erhob sich und führte seine
Gäste zurück ins Wohnzimmer. »Das ist ja immerhin Ihr Job; wir werden uns da
nicht einmischen.«
Mendelski glaubte ihm kein Wort, ließ sich
aber nichts anmerken. »Wann kommt Ihr Vater heim?«, fragte er stattdessen. »Wir
haben auch noch ein paar Fragen an ihn.«
»Heute ist Freitag, nicht wahr?« Kai
überlegte. »So gegen vier, schätze ich.«
»Gut, dann schauen wir heute Nachmittag
noch einmal vorbei. Bis dahin haben wir sowieso hier in Eschede zu tun.«
Mendelski kramte eine Visitenkarte hervor. »Falls Sie uns zwischendurch
dringend erreichen müssen, hier meine Handynummer.«
Als sie wenig später zu ihrem
Auto gingen, bemerkten die beiden Celler Kripo-Leute nicht, dass sie heimlich
von zwei Personen beobachtet wurden.
Rolf Wiegand, mit dem Rücken an die
dickste Hofeiche gelehnt, lugte recht stümperhaft hinter seiner Deckung hervor.
Hätten Mendelski und Maike Schnur ihre Umgebung mit etwas mehr Aufmerksamkeit
gemustert, wären sie dem Gärtner schnell auf die Schliche gekommen. Wiegand
stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, als er sah,
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