Wolfsfeder
des Vortages
vergessen machte. Die Sonne schien vom nahezu wolkenlosen Himmel, und eine
leichte Brise sorgte für ein Rascheln im herbstlichen Laub der Hofeichen. Das
ideale Wetter zum Wäschetrocknen draußen auf der Leine.
Die Haushälterin hatte noch keinen zweiten
Schritt in den Garten gesetzt, als sie plötzlich den Gärtner sah. Abrupt blieb
sie stehen.
Rolf Wiegand hockte in dem Rosenbeet
unterhalb des Wohnzimmerfensters und tat so, als ob er Unkraut zupfen würde.
Irene Hogreve erkannte jedoch sofort, dass der Gärtner sich keineswegs um die
Rosen kümmerte.
Der Bursche lauscht doch, dachte sie. Sie
schaute zu dem gekippten Fenster hinauf, aus dem leise Stimmen nach draußen
drangen.
Da trafen sich ihre Blicke.
Der Gärtner senkte beschämt den Kopf, nahm
den Drahtkorb auf, der neben ihm zwischen den Rosenstauden stand, und schlich
mit gekrümmtem Rücken an der Hauswand entlang davon.
Die Haushälterin folgte ihm eher
unabsichtlich, denn die Wäschewiese lag in derselben Richtung. Als sie das
Wohnzimmerfenster passierte, warf sie einen flüchtigen Blick ins Haus, konnte
aber wegen der spiegelnden Scheiben nichts erkennen.
»Verfo-fo-folgen Sie mich?«, fragte Rolf
Wiegand gereizt, nachdem er neben dem Holzschuppen stehen geblieben war.
Wortlos deutete sie auf die Wäschewanne
unter ihrem Arm.
»Aa-aa-ach so.«
Irene Hogreve stellte die Wanne auf den
Hackeklotz, um zu verschnaufen. »Puh, ist der schwer«, ächzte sie. Dann blickte
sie zu dem Gärtner hinüber und fragte so beiläufig wie möglich: »Was gab’s denn
da eben zu hören?«
»Nichts«, kam es – ganz ohne
Stottern – wie aus der Pistole geschossen.
»Wenn die Kriminalpolizei im Haus ist«,
ließ sie nicht locker, »ist das doch sehr spannend, oder? Kommen Sie, Herr
Wiegand, erzählen Sie schon.«
»Aa-ach, lassen Sie mich doch in Ruhe.«
Forschend beobachtete sie ihn. »Was war
eigentlich gestern mit Ihnen los?« Ihre Stimme klang mit einem Mal alles andere
als kumpelhaft.
Wie ein Dauerregen prasselten ihre Fragen
auf den Gärtner nieder. »Haben Sie Yadira gestern Morgen noch irgendwo gesehen?
Ist Ihnen sonst irgendwas aufgefallen? Wo waren Sie, als ich Sie zum
Mittagessen gerufen habe, so gegen halb eins? Erst am Nachmittag habe ich Sie
wieder im Garten entdeckt. Haben Sie einfach ein paar Stündchen blaugemacht?«
Rolf Wiegands Gesichtsausdruck wurde mit
jeder Frage düsterer. Er öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, aber die
Haushälterin gönnte ihm keine Pause.
»Mit solchen Fragen müssen Sie bei der
Polizei rechnen«, fuhr sie fort. »Seien Sie vorsichtig! Dass man Sie verhören
wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Es wird also besser sein, sich
darauf einzustellen.« Unnachsichtig schaute sie ihm in die Augen. »Überlegen
Sie sich gut, was Sie denen antworten.«
Ihm reichte es. Entnervt winkte er ab,
nahm seinen Drahtkorb und verschwand in Richtung Komposthaufen.
Irene Hogreve schaute dem Gärtner
kopfschüttelnd nach, nahm die Wanne wieder auf und ging zur Trockenwiese
hinüber. Dort sortierte sie die nasse Wäsche und hängte sie sorgfältig auf.
Für eine Frau mittleren Alters war die
Zusammenstellung der Kleidungsstücke allerdings etwas befremdlich: duftige
Blusen aus durchscheinendem Stoff, bemerkenswert klein ausfallende T-Shirts mit
tiefem Ausschnitt und superkurze modische Tops in knalligen Farben.
Als die Haushälterin schließlich
spitzenbesetzte BH s und einige aus
winzigen Stoffdreiecken bestehende Stringtangas mit altmodischen Holzklammern
an der Leine befestigte, zog sie ein verächtliches Gesicht. Missbilligend
betrachtete sie die in ihren Augen untragbare Unterwäsche und murmelte mit
heruntergezogenen Mundwinkeln: »Das reicht nicht mal für ein ordentliches
Taschentuch. Wer schon so herumläuft …«
Die Wäschestücke, die in der milden
Oktobersonne flatterten, gehörten ausnahmslos Yadira.
* * *
Eine Wolfsangel.
Er hätte sich ohrfeigen können. Dass er da
nicht selbst draufgekommen war. Er, der Heidjer, Jäger und fleißige Hermann-Löns-Leser.
Ein Z mit Mittelstrich – wie peinlich.
»Sie könnten recht haben«, sagte Mendelski
kleinlaut. »Vielleicht ist es tatsächlich eine Wolfsangel.«
»Was für ‘ne Angel?« Maike Schnur schaute
sich das Foto noch einmal an. »’ne Angel für Wölfe?«
Sie tauschte einen Blick mit Finn. Denn
der schien mit dem Begriff »Wolfsangel« ebenfalls nicht viel anfangen zu
können, wie er durch Achselzucken zu verstehen
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