Wolfsfeder
deshalb später nicht.«
Mendelski schloss die Tür hinter ihr. Als
sein Blick dabei die Wand rechts neben der Tür streifte, stutzte er.
Obwohl im übrigen Blockhaus nahezu jeder
Quadratmeter Wand mit irgendeinem jagdlichen Utensil behangen war, fand sich
hier ein leerer Platz. Zwei Haken, einer in Knie-, der andere in Kopfhöhe,
schräg übereinander angebracht, steckten verwaist in den Rundbalken. Ungefähr
in der Mitte zwischen ihnen entdeckte Mendelski ein postkartengroßes,
vergilbtes Schild, auf dem etwas in kunstvoller Schreibschrift und mit
schwarzer Tinte geschrieben stand.
»Was starrst du denn die leere Wand an?«
Maike Schnur war hinter ihm aufgetaucht und versuchte neugierig, über seine
Schulter zu schielen.
»Kannst du das lesen?«, fragte er leise.
»Ich hab meine Brille im Auto vergessen.«
»Klar doch«, sagte sie. »Wenn du mich
näher ranlässt.«
Mendelski rückte ein Stück zur Seite.
Maike las vor: »Die
Wolfsfeder – Mit dieser Saufeder wurde am 18. Dezember 1949 in Dalle
der letzte wild lebende Wolf im Landkreis Celle erlegt. Obertreiber Hinrich
Eilers aus Scharnhorst führte die Waffe während einer Drückjagd, als der
angeschossene Wolf von den Hunden gestellt wurde. Mit einer gehörigen Portion
Courage und einer spitzen Klinge konnte Eilers den Wolf von seinen Qualen
erlösen.«
»Schon wieder Wölfe«, murmelte Mendelski
und sah Maike ratlos an.
SIEBEN
Sie schlief, als die Maschine
zum Landeanflug auf Madrid-Barajas ansetzte. Endlich.
Bis dahin hatte sie während des
neunstündigen Fluges kein Auge zugetan – obwohl ihr Nachbarplatz frei
geblieben war und sie es sich in der ansonsten engen Economyclass relativ
bequem gemacht hatte. Doch immer wenn sie eingenickt war, hatte sich einer
dieser schrecklichen Alpträume ihrer bemächtigt.
In jedem Traum war eines ihrer
Familienmitglieder in große Gefahr geraten. Mal war es ihr kleiner Neffe
José-Manuel, der an ihrem Lieblingsstrand Playa Grande in der Nähe von Rio San
Juan von einer riesigen Welle ins Meer hinausgespült wurde, mal der von ihr
über alles geliebte Großvater Wilmer, der auf einem Ritt in die Berge der
Cordillera Central mit seinem Maulesel strauchelte und in einen Abgrund
stürzte. Besonders massiv bedrückte sie die Vision eines verheerenden Brandes,
der durch einen Blitzeinschlag in das Blechdach einer Hahnenkampfarena in Los
Montones Abajo verursacht wurde – mit siebenundzwanzig Todesopfern und unzähligen
Verletzten. Im Traum waren ihre zwei Brüder und ihr Vater unter den Zuschauern
gewesen.
Als jetzt mit lauten Geräuschen das
Fahrwerk ausgefahren wurde, schreckte sie hoch. Sie schob die Sonnenblende an
ihrem Fenster in die Höhe und schaute hinaus.
Ihr erster Blick auf die Alte Welt war
ernüchternd. Europa lag – wenn sie denn einen Blick durch die Wolkenfetzen
erhaschen konnte – grau in grau unter ihr. Am Regen, der das
Flugzeugfenster hinabrann, vorbei sah sie auf karges Bergland mit spärlichem
Bewuchs und auf vereinzelte, durch regennasse Straßen verbundene Siedlungen.
Spanien, das Land, das sie bisher nur aus Fernsehberichten über die gängigen
Touristikziele kannte, hatte sie sich ganz anders vorgestellt.
Sie schaute auf den Bildschirm in der
Rückenlehne ihres Vordermannes und fröstelte. Für den Zielort Madrid zeigte die
Wetterkarte nur vierzehn Grad Celsius an. Und Regen. Das wusste sie aber schon.
Ortszeit war fünfzehn Uhr siebenundzwanzig. Sie hatte nur knapp zwei Stunden
Aufenthalt. Danach ging der nächste Flieger in Richtung Frankfurt. Ob es in
Deutschland noch kälter sein wird als hier in Spanien?, fragte sie sich
besorgt.
Als Minuten später die Flugzeugräder den
Boden berührten, nahm sie rasch ihr Amulett in die rechte Hand und schickte ein
Stoßgebet gen Himmel.
* * *
»Was, in Gottes Namen, tun Sie
hier?«, schnauzte er.
Kai Kreinbrink war völlig außer Atem. Zum
einen, weil er die Strecke vom Hof, wo er sein Auto abgestellt hatte, bis zum
Blockhaus hinten im Garten in einem beachtlichen Sprint zurückgelegt hatte.
Finn hatte ihm kaum folgen können. Zum anderen, weil er sich immens über das
Vorgehen der Polizei aufregte. Kurz vor ihm war Ellen Vogelsang mit zwei
weiteren Kollegen von der Polizeiinspektion Celle eingetroffen. Die waren
gerade dabei gewesen, neben dem Pool diverse Gerätschaften auszupacken und sich
weiße Overalls überzustreifen, als er vorbeigerauscht war.
»Anstatt den Pagel zu suchen«,
echauffierte er sich, »vergeuden Sie Ihre
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