Wolfsfeder
Situation einfach zu heikel. – Ist mir jetzt
scheißegal, was dein Mann denkt. Es geht um einen Unglücksfall, der hier
geschehen ist, eventuell sogar um Totschlag oder Mord. – Du musst nur
bestätigen, dass ich vorgestern Nacht bei dir war. – Wie bitte? – Ja,
natürlich als Alibi. – Nein, die Polizei posaunt das schon nicht herum,
die sind zur Diskretion verpflichtet. – Bitte? – Ja, mach ich. Glaub
mir, es wird schon alles gut gehen – Ich dich auch.«
Der Telefonhörer wurde aufgelegt. Dann
trat Stille ein, unheimliche Stille. Sein Vater schien sich in seinem Zimmer
nicht von der Stelle zu rühren.
Ob er gemerkt hat, dass ich hier an der
Tür stehe und alles mitkriege?, fragte sich Kai. Sein Herz schlug bis zum Hals.
Er hielt den Atem an.
Erleichtert hörte er, wie eine Rufnummer
getippt wurde.
Wenige Sekunden später sprach sein Vater
wieder: »Kreinbrink hier. Herrn Rechtsanwalt Windhalm bitte. – Ja, danke,
ich warte.«
Kai machte vorsichtig einen Schritt
rückwärts.
Sein Vater und eine fremde Frau? Die auch
noch verheiratet war? Was er da nicht ganz freiwillig erlauscht hatte,
beschäftigte ihn so sehr, dass er völlig vergaß, wonach er seinen Vater
eigentlich hatte fragen wollen.
Im Arbeitszimmer sagte sein Vater: »Konrad
hier, hallo, Gernot. Ich brauche dringend deine Hilfe. Hier bei uns ist etwas
sehr Unangenehmes geschehen …«
Mehr hörte Kai nicht. Mehr wollte er auch
nicht hören. Verstört schlich er zur Küche zurück.
ACHT
Um siebzehn Uhr fünfundvierzig,
auf die Minute genau eine halbe Stunde zu spät, hob die Maschine der Iberia in
Madrid-Barajas ab.
Ihr Flugzeug hatte auf dem Rollfeld in
einer Warteschlange von mehreren Düsenjets warten müssen. Wenn sie die
krächzende Lautsprecheransage richtig verstand, hatte der starke Regen, der
seit ungefähr einer Stunde über dem Zentrum der Iberischen Halbinsel niederging,
die Verspätung verursacht.
Bei diesem Flug hatte sie nicht so viel
Glück gehabt wie bei dem vorherigen. Die Maschine war bis auf den letzten Platz
besetzt, sodass auch neben ihr jemand saß. Ihr Pech war, dass es sich bei dem
Herrn links von ihr nicht nur um den beleibtesten Passagier des gesamten
Fluges, sondern auch um den redseligsten und lautesten handelte.
Wie sie in weniger als fünf Minuten –
ihr Englisch war besser, als sie ihrem Gesprächspartner eingestand – von
ihm erfuhr, war er ein US -Amerikaner
aus dem Bundesstaat Oregon mit dem schönen Namen William Goldstein,
dreiundsechzigjährig, Holzhändler, geschieden. Er hatte zwei erwachsene Söhne
und befand sich allein auf einer sechswöchigen Europa-Rundreise. In Deutschland
wollte er unter anderem Wiesbaden-Erbenheim besuchen, wo er in den sechziger
Jahren als GI stationiert gewesen
war.
»Good old Germany« ,
schwadronierte er in breitestem Amerikanisch. »I love
it. I love the forests, the food, the Sauerkraut, the beer, the
Fräuleins … hohoho …«
Sie schaltete einfach ab. Er stellte zum
Glück kaum Fragen, und wenn, waren diese rhetorischer Art.
Zur Flughalbzeit, nach einer guten Stunde,
wandte sich Mr Goldstein seinem anderen Nachbarn zu. Der ältere Herr, der in
Sachen Leibesfülle mit dem Ami sehr gut mithalten konnte, zeigte sich von
dessen lauten Prahlereien sichtlich beeindruckt.
Derweil schaute sie gebannt dem
Sonnenuntergang über den Wolken zu. So etwas Schönes hatte sie noch nie
gesehen.
Sie musste an zu Hause denken. Dort war es
jetzt erst Mittag, die heißeste Zeit des Tages. Ihre Mutter würde in der
Hängematte dösen, unter dem alten Mangobaum, an einem luftigen Plätzchen, wo
stets ein Windhauch ging.
Als ihr die Tränen kamen, zwang sie sich,
an etwas anderes zu denken. Sentimentalitäten konnte sie sich nicht leisten.
Die letzten Sonnenstrahlen tauchten den
Himmel am Horizont in tiefrotes Glühen. Ihre erste Nacht in Europa brach an.
Sie sehnte die Landung in Alemania herbei und freute sich
auf ihr Hotelzimmer in Frankfurt, das sie zusammen mit dem Flug bereits daheim
gebucht hatte. Nach der langen transatlantischen Reise war sie sehr müde.
Sie ahnte nicht, dass sie in dieser Nacht
kein Auge zutun würde.
* * *
Nachdem Maike Schnur mit dem
Handy ein paar Fotos von den Brüchen und den heruntergebrannten Schwedenfeuern
geschossen hatte, brachen sie auf.
Mendelski stapfte vorneweg, ihm folgte von
Bartling, der sich aus seinem Auto neben einem Fernglas auch seine Büchse
geholt hatte; er wollte nicht ohne Waffe auf diese
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