Wolfsfeuer (German Edition)
sind, nur weil wir existieren.«
Alex hatte darauf keine schnippische Antwort parat, und Julian hätte sie gefragt, wie das kam, wäre Ella nicht just in diesem Moment in Jorunds Hinterhof abgebogen.
» Faet! «, fluchte Julian und setzte ihr nach.
Er bog gerade um die Ecke, als der Wolf anmutig auf die hintere Veranda sprang. Die Glasschiebetüren reflektierten den stürmischen Schnee und den dunstigen Schein des Mondes. Julian befürchtete, dass Ella einfach durch sie hindurchspringen würde.
Saß Jorund gerade an seinem Küchentisch und trank friedlich eine Tasse Tee? Hatte er die schmerzenden Füße auf den Polsterhocker hochgelegt, eine Brille auf seiner Hakennase und einen Science-Fiction-Roman – seine Lieblingslektüre – auf seinem von einer Decke gewärmten Schoß?
Wenn der Werwolf durch das Fenster bräche, würde der alte Mann aufspringen, sich mit den Füßen in der Decke verheddern und stürzen? Sich die Hüfte brechen? Einen Arm? Einen Herzinfarkt erleiden? Alles davon wäre der Alternative vorzuziehen, nämlich einem blutigen, qualvollen Tod durch einen mordlüsternen Werwolf.
Julian durfte das nicht zulassen. Er legte das Gewehr an seine Schulter und zielte auf Ellas Flanke.
»Warte«, raunte Alex ihm zu.
»Nein.«
»Sieh doch.«
Etwas in ihrer Stimme ließ ihn zögern. Vielleicht war es auch nur, dass sie ihn überhaupt zu stoppen versuchte. Alex wäre die Erste, die ihn einen Werwolf würde erschießen lassen – es sei denn, sie hätte einen sehr triftigen Grund, der dagegen sprach.
Die Glasschiebetür glitt auf. Getaucht in das gelbe Licht aus seiner Küche, erschien Jorund auf der Veranda. Er trug einen schwarzen, mit goldenen Drachen bestickten Seidenmorgenmantel, der locker von einer passenden Schärpe zusammengehalten wurde. Das Haar fiel ihm wie ein von Silber durchzogener schwarzer Fluss über die Schultern, und er hielt ein Glas Rotwein in der Hand. Auf dem Tisch hinter ihm standen die dazugehörige Flasche und ein zweites, leeres Glas.
Der alte Mann trat beiseite, und der Wolf trottete ins Haus. Mit seiner freien Hand streichelte Jorund über den Rücken des Tiers, in seinem Gesicht ein Ausdruck, wie Julian ihn noch nie bei ihm gesehen hatte.
»Vielleicht sollten wir lieber gehen«, flüsterte Alex.
»Nimm die Waffe runter, Ataniq .« Jorund wandte sich ab, ließ die Tür jedoch offen stehen. »Dann tretet ein.«
Bis sie seiner Aufforderung Folge leisteten, hatte Jorund zwei weitere Gläser geholt und schenkte beiden Wein ein. Von Ella war nichts zu sehen, allerdings hörte Julian Geräusche im angrenzenden Schlafzimmer.
Jorund setzte sich an den Tisch. Die Sorgfalt, mit der er seinen knielangen Seidenmantel drapierte, deutete darauf hin, dass er nichts darunter trug. Julian fühlte sich von Sekunde zu Sekunde unbehaglicher. Er leerte seinen Wein in einem einzigen Zug.
»George hat mich in eure Pläne eingeweiht.«
Julian machte ein böses Gesicht. »Er hätte es niemandem erzählen dürfen.«
»Ich bin das Oberhaupt dieses Dorfes, nicht du.«
Verärgert blaffte Julian: »Und trotzdem nennst du mich Meister.«
»Reine Höflichkeit.«
»Warum hast du dann jedes Mal, wenn ihr hier einen Toten gefunden habt, George nach mir geschickt?«
»Du hattest versprochen, uns vor deinen Wölfen zu beschützen. Du hältst dich nicht an deinen Teil der Abmachung. Wieso also hätte ich nicht nach dir schicken sollen?«
»Es ist nicht bewiesen, dass einer meiner Wölfe der Täter ist.«
Der alte Mann hob wortlos die Brauen.
»Wem hat George noch davon erzählt?«, fragte Alex. Sie hatte noch immer nicht von ihrem Wein getrunken, sondern spielte nur mit dem Stiel des Glases.
Jorunds Blick glitt zu ihr, dann zurück zu Julian. »Niemandem.«
»Wem hast du es gesagt?«, fragte Julian barsch.
»Nur mir.« Ella hatte sich einen Morgenmantel übergeworfen, der zu dem von Jorund passte, und ihre blassen Wangen zeigten eine leichte Röte.
»Was ist hier los?«, verlangte Julian zu wissen.
Ella lächelte, als sie ihre Finger in Jorunds wob. Der Kontrast zwischen ihrer jugendlichen Hand und seinen greisen, knotigen Fingern war wie der zwischen einer Affenpfote und einer Babyfaust. »Ich liebe ihn«, erklärte sie. »Und er liebt mich.«
»Seit wann das?«
»Schon seit zwanzig Jahren«, antwortete Ella.
»Etwa«, fügte Jorund hinzu.
»Er ist alt genug, um dein Urgroßvater zu sein.«
»Ich bin zweihundertsechsundvierzig Jahre alt, Julian.«
»Der Punkt geht an sie«,
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