Wolfsfeuer (German Edition)
musste zugeben, dass ihr das Outfit stand, auch wenn sie sich ein bisschen wie eine Einbrecherin fühlte.
Schuhe reihten sich auf dem Boden, leider nicht in ihrer Größe. Alex widmete ihrem Haar, das voller Knoten und kleiner Stöckchen war, mehr Zeit als je zuvor in ihrem Leben. Da sie weder einen Kamm noch eine Bürste hatte, musste sie sich mit ihren Fingern begnügen, dann flocht sie es flink zu einem Zopf und fixierte ihn mit einem überzähligen Schuhband, das sie in einer Schublade fand. Als es sich nicht mehr länger hinauszögern ließ, öffnete Alex die Tür und machte sich auf den Weg in die Küche.
Ella saß auf einem erhöhten Stuhl an der Kücheninsel, vor sich eine zierliche Tasse sehr schwarzen Kaffees. Sie war in winterliches Weiß gekleidet. Ein dicker, tief dekolletierter Kapuzenpulli, der den Blick auf einen Rubin in einer hinreißend filigranen Fassung freigab, dazu eine rote Wollhose, die bis auf die Farbe der glich, die Alex trug.
Sie blickte von der Zeitschrift auf, in der sie geblättert hatte, auf ihren Lippen ein Lächeln, das jedoch verblasste, als sie Alex’ Aufmachung bemerkte. » Mais, non! « Sie schüttelte den Kopf.
»Habe ich etwas genommen, das ich nicht hätte nehmen dürfen? Ich werde mich umziehen.« Alex drehte sich um, kam aber nur zwei Schritte weit, bevor Ella sie einholte. Die Geschwindigkeit, mit der die Frau bei ihr war, raubte Alex die Fassung. Würde sie sich je daran gewöhnen, wie schnell Werwölfe selbst in menschlicher Gestalt waren?
»Du darfst alles nehmen, was ich besitze, mon amie . Aber so viel Schwarz.« Sie schnalzte mit der Zunge, dann eilte sie an Alex vorbei zurück ins Schlafzimmer.
Alex folgte ihr, blieb jedoch in der Tür stehen, während Ella den Kleiderschrank durchstöberte.
»Aha.« Sie streckte den Arm hoch, und ein wunderschöner Seidenschal entfaltete sich. Er schimmerte in allen Farben des Herbstes – Gold, Rostrot, Bernstein, Olivgrün – , trotzdem hätte Alex ihn nie für sich ausgewählt. Sie hatte Sinn und Zweck von Seidenschals nie verstanden. Ganz sicher wärmten sie einen nicht.
Ella durchmaß mit wenigen Schritten die kurze Distanz, die sie trennte, und drapierte ihn um Alex’ Hals. »Lass ihn herabhängen, genau so.« Sie ging auf Abstand und begutachtete ihr Werk. Dann kam sie zurück und zog mit einem weiteren missbilligenden Schnalzen das Schuhband aus Alex’ Haaren. » Non .« Sie warf es in den Papierkorb und entflocht den Zopf.
» Oui .« Ella nickte knapp und zufrieden. »Ich wusste, dass dieses Tuch das Licht in deinen Augen zum Strahlen bringen würde.« Sie zog Alex vor den Ganzkörperspiegel, der an der Innenseite der Schranktür befestigt war. »Schwarz ist eine gute Basis, aber du musst einen Farbtupfer hinzufügen und voilà … « Sie küsste ihre Fingerspitzen und warf sie in die Luft. »Schon bist du chic .«
»Chic«, echote Alex dumpf. »Wenn du meinst.«
Sie war noch nie chic gewesen, würde nie chic sein, wusste nicht, was chic war. Aber Ella hatte recht. Der alberne Schal betonte Vorzüge, von denen Alex gar nicht gewusst hatte, dass sie sie besaß.
»Danke.« Sie sah der Frau im Spiegel in die Augen. »Es ist nett von dir, dass du mir hilfst.«
Ihrer Erfahrung nach halfen Menschen Fremden nicht einfach nur so. Etwas musste dabei für sie herausspringen. Sie fragte sich, was es bei Ella sein würde.
»Es ist mir ein Vergnügen«, versicherte Ella mit fröhlicher Miene. Es hatte fast den Anschein, als freute es sie, Alex so hübsch herauszuputzen, wie sie konnte, und das nur, weil sie es konnte.
»Du besitzt viele schöne Dinge.«
» Merci .«
»Ich hätte nicht gedacht, dass man all das so weit hier oben im Norden finden könnte.«
»Hier oben?« Ella lachte, das Geräusch kehlig, sexy, sehr französisch. »Hier würde man Flanellhemden finden, Levi’s, Schneestiefel und Parkas. Das hier … «, sie gestikulierte Richtung Kleiderschrank, »… verdanke ich dem Internet.«
»Ihr benutzt das Internet?«
»Viele von uns mögen sehr alt sein, aber wir haben gelernt, mit der Vergangenheit abzuschließen.« Ihr Blick glitt zu dem Nippes auf ihrem Schrank. »Größtenteils jedenfalls. Wir leben jetzt in dieser Welt.«
»Du bezeichnest den Rückzug an den nördlichen Polarkreis als ein Leben in dieser Welt?«, staunte sie.
»Es ist die einzige Option, die wir haben.« Ella verließ das Zimmer mit hängenden Schultern, was in Alex den Wunsch weckte, den Kopf mehrmals gegen die Wand zu schlagen,
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