Wolfsfeuer (German Edition)
um ein wenig Verstand hineinzuprügeln.
Sie hatte nie zuvor darauf achten müssen, was sie sagte. In der Regel ließ sie alles, was sie dachte, ungefiltert aus ihrem Mund schlüpfen. Natürlich hatte sie nie zuvor höfliche Sitten an den Tag legen müssen. Wer hätte gedacht, dass sie ausgerechnet in einem Werwolf-Dorf inmitten der arktischen Tundra auf höfliche Sitten stoßen würde?
Alex folgte Ella in die Küche, wo ihre Gastgeberin den blitzsauberen Tresen mit einem ebenso blitzsauberen Tuch abwischte.
»Das war grob von mir«, entschuldigte Alex sich.
»Es ist nur natürlich, dass du dir über deine neue Heimat Gedanken machst, aber Julian muss dir doch erklärt haben, warum wir leben, wie wir leben.«
»Damit er der Anführer der Wölfe sein kann?«
»Er ist der Anführer dieser Wölfe. Und genau deswegen, dank ihm, haben wir ein sicheres und gutes Dasein. In der Welt dort draußen gibt es Jäger, Alex. Sie würden dich mit einer Silberkugel töten, und das nur, weil du existierst; anschließend würden sie dich ohne jede Reue zu Asche verbrennen.«
Alex wusste darauf nichts zu erwidern, denn früher war sie selbst solch ein Jäger gewesen.
10
Julian klopfte an Ellas Tür. Als niemand öffnete, trat er einfach ein.
Er fand die beiden Frauen Seite an Seite in der Küche, zwei filigrane Espressotassen in Reichweite. Wenn ihn nicht alles täuschte, waren sie in französische Modemagazine vertieft.
Was zur Hölle?
»Gibt es ein Problem, Julian?« Ella schaute noch nicht einmal von ihrer Zeitschrift auf. Sie hatte ihn bestimmt schon an der Haustür gehört. Verdammt, wahrscheinlich hatte sie ihn sogar die Straße heraufkommen hören.
Alex dagegen sprang so hastig von ihrem Stuhl auf, dass er zurückkippte; er wäre umgestürzt, hätte Ella nicht ihre lange, anmutige Hand ausgestreckt, um ihn davon abzuhalten.
»Du spazierst einfach wie es dir gefällt in ein fremdes Haus?«, fuhr sie ihn an.
»Ich habe geklopft.« Seine Verteidigung klang selbst in seinen eigenen Ohren mau. »Ihr hattet die Nasen so tief in euren … « Er gestikulierte zu den Zeitschriften, die tatsächlich französisch waren und von Mode handelten. Julian hätte Alex alle möglichen Zeitvertreibe zugetraut, aber den nicht.
»Wir waren abgelenkt. Frauengespräche, Julian.«
Ella sprach seinen Namen französisch aus. Sie machte das nur, wenn sie sich über ihn ärgerte. Aber was hatte er denn verbrochen? Er sah Alex mit zusammengekniffenen Augen an. Was hatte sie behauptet , dass er verbrochen hätte?
»Falls du nichts Wichtiges auf dem Herzen hast«, fuhr Ella fort, »schlage ich vor, du verkrümelst dich, bevor wir dich noch zu Tode langweilen.«
»Genau«, pflichtete Alex ihr bei. »Verkrümle dich.«
Er hob eine Braue. »Gibt es einen speziellen Grund, warum ihr mich nicht hierhaben wollt?«
»Wie viel Zeit hast du mitgebracht?«, murmelte Alex.
Ella lachte, was beide zusammenzucken ließ. Alex wirbelte gleichzeitig mit Julian zu ihr herum, und sie fauchten wie aus einer Kehle: »Was ist so komisch?«
Ellas Lächeln wurde breiter. »Ihr tut so, als könntet ihr euch nicht ausstehen, aber das ist nicht wahr. Wie sie im Fernsehen so schön sagen: Was hat das zu bedeuten? «
»Du tickst nicht ganz richtig«, meinte Julian.
»Ja, das höre ich öfter.« Ihr Blick flog zwischen ihnen hin und her. »Und zwar meist dann, wenn ich recht habe.«
Julian hatte Alex in Ellas Obhut gegeben, weil Ella die sachlichste Person war, die er kannte. Sie hatte das verblüffende Talent, den wahren Menschen hinter der Fassade zu sehen. Er vertraute ihrem Urteil blind.
Aber sie hier mit Alex zusammensitzen zu sehen, als wären sie beste Freundinnen, setzte ihm gewaltig zu. Roch Ella denn das Verderbte an ihr nicht? Er jedenfalls roch es.
Um es sich selbst zu beweisen, schnupperte Julian – einmal, zweimal. Mist. Das Einzige, was er riechen konnte, war sie .
»Was willst du, Julian?«
Er war gekommen, um Alex zu Cade zu bringen, doch auf dem Weg hierher hatte er erkannt, dass sie zuerst reden mussten. Sie sollte seinem Bruder lieber verschweigen, wer sie war, was sie getan hatte, warum sie hier war.
Doch jetzt begann er zu grübeln, ob er nicht wenigstens Ella einweihen sollte. Es war nicht fair von ihm gewesen, der Französin zu befehlen, den Feind in ihrem Heim aufzunehmen, ohne ihr zu enthüllen, dass Alex der Feind war. Ellas sonst so zuverlässiges Urteilsvermögen wurde offensichtlich getrübt durch …
Was? Er traute Alex nicht
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