Wolfsfeuer (German Edition)
all dem zu tun?«
Ihre Augen weiteten sich, und die zornige Röte wich aus ihren Wangen. »Sie sind deine Familie, trotzdem jagst du sie bei Vollmond durch die Wälder, um sie in Stücke zu reißen.«
»Was?«, donnerte er, als er sie losließ und sich zu voller Körpergröße aufrichtete.
Drohend ragte Barlow über ihr auf, was Alex für eine Schrecksekunde an den brüllenden, aufgerichteten Eisbären erinnerte. Halb fürchtete sie, dass er sich in einen verwandeln würde. Sie hatte sich mit den Berserkern befasst, von denen der Legende nach viele in die Gestalt eines Wolfs oder eines Bären schlüpfen konnten. Sie traute Barlow glatt zu, diesen Teil ausgelassen zu haben.
Aber er verwandelte sich nicht, bekam noch nicht mal Pfoten. Stattdessen schloss er die Augen und bewegte wie in einem stummen Gebet die Lippen.
»Wie kannst du beten, ohne in Flammen aufzugehen?«, wunderte sie sich laut.
Er öffnete ein Auge, was genügte, um ihr einen beeindruckend finsteren Blick zuzuwerfen, bevor er hervorstieß: »Sag mir, warum du glaubst, dass ich Menschenopfer annehme.«
Das unterschwellige Grollen verriet, wie nahe das Tier in ihm an die Oberfläche gekommen war. Seltsam, aber Alex empfand keine Angst. Nach allem, was sie gerade erfahren hatte, wunderte sie das.
»Werwölfe müssen in der Vollmondnacht töten und frisches Menschenblut zu sich nehmen«, antwortete sie. »Das wusste ich schon, bevor ich selbst ein Wolf wurde.«
»Wir brauchen Blut, das ist richtig.« Julian öffnete nun auch das zweite Auge, und obwohl sich das Blau zu der Farbe von Eis unter einem klaren Sommerhimmel verhärtet hatte, bohrte ihr Blick sich mit solcher Hitze in die ihren, dass sie befürchtete, ihre Hornhäute würden explodieren. »Aber Blut und Tod sind zwei verschiedene Dinge.«
»Wie solltest du … Kannst du … « Sie lehnte sich zurück. »Warte. Was?«
»Ich habe dir wieder und wieder gesagt, dass meine Wölfe anders sind als andere.
Unser Blutdurst bei Vollmond kann gestillt werden, ohne dass es Tote gibt.«
»Die Inuit geben dir ihr Blut«, folgerte Alex. »Also eine Art Vollmond-Kommunion?«
»Wenn du es so ausdrücken willst.« Sein Mund wurde grimmig. »Du dachtest wirklich, dass ich meine Wölfe jeden Monat einen Menschen umbringen lasse?«
»Du hast mich jemanden umbringen lassen«, erinnerte Alex ihn leise.
Julian schaute weg. »Das waren andere Umstände.«
»Oh, richtig. Ich musste verstehen .« Alex legte ihren ganzen Sarkasmus in das letzte Wort.
»Ja«, bestätigte er. »Allerdings blieb mir kaum etwas anderes übrig, nachdem ich dich erschaffen hatte.«
»Du hättest mich nicht erschaffen können.«
Barlow ging nicht darauf ein. »Jeder Wolf muss beim ersten Mal töten, ansonsten fällt er dem Wahnsinn anheim. Selbst meine Wölfe werden, wenn diese erste Tötung nicht vollzogen wird, unwiederbringlich zu Killermaschinen.«
»Und du denkst, dass das mit dem Wolf geschehen ist, der Jagd auf die Inuit macht?«
»Nein. Sämtliche Wölfe hier wurden von mir erschaffen und mit ihrer Einwilligung in dieses Leben gebracht.«
»Nicht alle«, widersprach sie.
»Alle, die zählen.«
Tja, sie hatte das herausgefordert. »Hast du jedem deiner Wölfe einen sehr schlechten Menschen als erste Mahlzeit serviert?«
»Nicht jedem.«
»Wann hast du ein Gewissen bekommen?«
Seine Augen wurden schmal. »Ich wurde im neunten Jahrhundert ein Werwolf. Gewissen wurde damals ein wenig anders definiert.«
»Ich schätze, du hast ihnen einfach einen Gefangenen zum Fraß vorgeworfen.«
Als er nicht antwortete, wusste sie, dass sie richtig getippt hatte. Sie wusste außerdem, dass sich im Laufe eines Jahrhunderte währenden Lebens viele Dinge änderten, inklusive der Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht. Einen Wikinger an den Konventionen des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu messen, war so rückständig, wie er es einst gewesen war.
Es gefiel ihr nicht, Nachsicht mit Barlow zu üben, aber der Fairness halber musste sie es tun.
»Du bist sicher, dass keiner deiner Wölfe einen anderen erschaffen hat, der nun gewissermaßen Amok läuft?«
»Das würden sie nicht wagen.«
Alex schnaubte spöttisch. Sie konnte nicht anders. »Nicht jeder ist so unterwürfig, wie du dir das vorstellst.«
Daran, wie still und nachdenklich er wurde, erkannte sie, dass er ins Grübeln geraten war. Sie beschloss, ihn nicht dabei zu stören.
»Ich gehe zurück zu Ella«, verkündete sie. Wenn sie nicht bald eine Mütze Schlaf bekäme,
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