Wolfsfeuer (German Edition)
würde sie aus den Latschen kippen.
Julian blickte auf. »Sag niemandem, wer du bist.«
Sie war bereits auf dem Weg zur Tür, als sein barscher Befehl sie veranlasste, sich noch einmal zu ihm umzudrehen. »Ich fürchte, der Zug ist abgefahren.«
Seine Augen blitzten zornig. »Warum solltest du so etwas tun?«
» Ich war das nicht. Du warst es, der mich allen vorgestellt hat, als wir im Dorf ankamen.«
»Oh.« Julian stieß einen kurzen, scharfen Atemzug aus, der ihm eine verirrte, goldblonde Strähne aus dem Gesicht blies. »Dein Name, das stimmt. Aber verrat niemandem, warum du hier bist.«
»Befürchtest du, dass deine eigenen Leute meutern könnten, wenn sie entdecken müssten, dass du deine eigenen Regeln nicht eingehalten und jemanden gegen seinen Willen erschaffen hast?« Alex lächelte süffisant. »Da würde ich gern dabei sein.«
Barlow rieb sich die Stirn. »Sag niemandem, dass du eine Jägerin bist. Sag niemandem, dass du Edward kennst. Und sag auf gar keinen Fall irgendwem, dass du meine Frau ermordet hast.« Er ließ die Hand sinken und blickte ihr ins Gesicht. »Werwölfe können sterben, Alex, und meine würden dich töten.«
»Das könnten sie nicht. Es gibt ein Sicherungssystem im Lykanthropie-Virus, das Werwölfe davon abhält, einander zu töten.«
»Hier nicht.«
Alex erstarrte. »Was?«
»Weil ich anders bin, ist mein Virus anders, damit sind es auch meine Wölfe. Es existiert kein Dämon. Und auch kein Sicherungssystem.«
Sie starrte ihn fassungslos an. »Wie ist es dann möglich, dass überhaupt noch einer von euch lebt? Warum habt ihr euch nicht längst gegenseitig in Stücke gerissen? Warum ist hier nicht nur ein einziger Wolf übrig?«
»Weil wir nicht zum Vergnügen töten. Wir genießen es nicht. Und obwohl wir uns gegenseitig umbringen könnten , wollen wir das nicht.«
»Aber manchmal«, murmelte sie und sah ihn an, während sie hörte, was ungesagt geblieben war, »musst du es tun.«
»Es ist die einzige Strafe, die Werwölfe verstehen.«
Barlow bot an, sie zurück zu Ella zu bringen, aber Alex lehnte ab.
»Selbst wenn ich den Weg nicht wüsste, müsste ich nur meiner Nase folgen«, sagte sie. Ein Werkzeug, das sich mit jedem verstreichenden Tag als nützlicher erwies.
Auf dem Rückmarsch, der Alex eine Straße hinauf-, quer über den Hauptplatz und die Allee auf der anderen Seite des Dorfes entlangführte, wurde sie von mehr als einem Dutzend Einwohnern gegrüßt.
Die Siedlung war ein Schmelztiegel unterschiedlichster Akzente, Nationalitäten, Rassen und Generationen. Das Einzige, was Alex nirgends entdeckte, waren Kinder.
»Ich schätze, das macht Sinn«, murmelte sie, sich an das Gespräch erinnernd, das sie und Barlow zuvor geführt hatten.
Sie alle wirkten so verdammt erfreut, sie zu sehen. Fast schon ekstatisch. Als wäre sie das Beste, was Barlowsville seit Jahren widerfahren war.
Allerdings wären sie weder erfreut noch gastfreundlich oder auch nur höflich, wenn sie herausfänden, wer sie war, warum sie hier war …
Dieses Wissen in Kombination mit der extremen Freundlichkeit der Dorfbewohner bewirkte, dass Alex sich wie der letzte verlogene Abschaum fühlte. Sie musste sich einhämmern, dass dieser Ort von Werwölfen bevölkert wurde – der letzte verlogene Abschaum auf dem ganzen Planeten.
Und sie war einer von ihnen.
Trotzdem wollte sie keine kleinen Kinder meucheln. Sie war nicht getrieben von dem Bedürfnis, jedem, dem sie begegnete, das Gesicht zu zerfleischen – mit Ausnahme von Barlow. Sie fühlte sich nicht böse. Sie fühlte sich … wie sie selbst. Was allem widersprach, was sie je über Werwölfe zu wissen geglaubt hatte. Sicher, Cassandra hatte behauptet, dass sie »den Dämon« ausgemerzt hätte, aber vielleicht hatte er überhaupt nie existiert.
Alex erreichte Ellas Haus; sie stieg die Treppe hoch, dann zögerte sie. Sollte sie anklopfen? Sie war unschlüssig. Falls die Tür zugesperrt war, würde sie es tun müssen.
Sie war es nicht. Sperrte in Barlowsville überhaupt jemand seine Haustür ab? Wie sie Barlow einschätzte, war die Strafe für Diebstahl vermutlich das Abhacken einer Pfote mittels einer Silberaxt. Was genügen sollte, um jeden kleptomanisch veranlagten Werwolf abzuschrecken.
»Hallo?«, rief sie und war heilfroh, als niemand antwortete. Für diesen einen Tag hatte sie ihr Plauderpotenzial aufgebraucht.
Sie durchstöberte den Schrank auf der Suche nach einem Pyjama, einer Jogginghose, einem Nachthemd, nach irgendetwas,
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