Wolfsfeuer (German Edition)
niemanden heiraten, sondern den Werwolf finden, den zu finden sie gekommen war, ihn töten und Fersengeld geben.
Sobald Alex sich an die Arbeit gemacht hatte, stellte sie fest, dass Rose recht hatte: Der Job war nicht schwer. Für einen Werwolf.
Alex verfügte selbst in menschlicher Gestalt über eine außergewöhnliche Körperkraft und ein erstaunliches Durchhaltevermögen, sodass es ihr nichts ausmachte, stundenlang auf den Beinen zu sein, schwere Tabletts, die mit schweren Tellern beladen waren, zu tragen, abzustellen und aufzunehmen, zu laufen, laufen, laufen …
Wäre sie ein Mensch gewesen, hätte sie sich binnen einer Stunde verausgabt. Das Lokal war unglaublich belebt, Welle um Welle strömten die Kunden herein und bevölkerten die Tische. Gab es in diesem Dorf überhaupt jemanden, der zu Hause frühstückte?
Eine zweite Bedienung, die sich als Cyn – kurz für Cynthia – vorstellte und schon seit Anbeginn der Zeit als Kellnerin zu arbeiten schien, wahlweise seit Mitte der 50er Jahre, falls ihre feuerrote, toupierte Hochfrisur und ihre Angewohnheit, am Ende jedes Satzes ihren Kaugummi platzen zu lassen, irgendeinen Hinweis lieferten, übernahm den Großteil der Essnischen und überließ Alex den Tresen.
»So kannst du dich um jede Bestellung einzeln kümmern«, sagte sie, als sie mit einem Tablett voll Kaffee, Saft und Tee für den lokalen Bridgeclub davoneilte.
Alex’ Blick wurde immer wieder wie magnetisch von dem Tisch voller älterer Damen angezogen, die miteinander plauderten, lachten und mit großer Hingabe über Rubber, Schlemm und Strohmann debattierten. Sie musste sich ins Gedächtnis rufen, dass sie Werwölfe waren.
Plötzlich huschte eine Vision derselben Damen an ihrem geistigen Auge vorbei, in der sie als Wölfe um den Tisch saßen, die haarigen Hälse noch immer von Perlenketten geschmückt, die Ohrringe von ihren spitzen Ohren baumelnd, die Krallen geschmackvoll rosarot lackiert, während sie eine Runde Bridge zu Ende spielten.
»Ich wette, wenn ich das auf Samt malen würde, wäre es todsicher ein Erfolg«, murmelte Alex. »Mehr noch als die Poker spielenden Hunde.«
»Los, bestellt!«, sang Joe.
Joe sang alles. Alex hatte ihn bisher noch nicht sprechen hören, und wann immer sein Repertoire erschöpft war, gab er Lieder von jemandem zum Besten, den er Dino nannte. Sobald das passierte, wurden alle mucksmäuschenstill. Joe hatte eine fabelhafte Stimme.
Er hatte außerdem zwei Ohren und keine sichtbaren Narben, das Gleiche galt für Cyn und jeden anderen, mit dem Alex bisher das Vergnügen gehabt hatte.
Die Bestellung des adretten Herrn am Ende der Theke bestand aus drei pochierten Eiern, Würstchen, Speck, Kuchen und Toast, dazu als Beilage hausgemachte Bratkartoffeln mit Zwiebeln und Pilzen. Jeder Kunde im EAT -Café verspeiste so viel wie ein ausgehungerter Wolf.
Ha-ha .
Der Stoffwechsel eines Werwolf war wesentlich schneller als der eines Menschen, und ohne die Gefahr von Cholesterinvergiftungen oder fatalen Herzerkrankungen waren dem Genuss keine Grenzen gesetzt.
Vier Cheeseburger mit Zwiebelringen, Pommes und Käsesticks? Zwei Steaks, dazu Ofenkartoffeln mit geschmolzener Butter und Schinken und Broccoli mit Käsesauce? Immer rein damit.
Warum sollte irgendwer sich sein altes Leben zurückwünschen?
Das Tablett wackelte in Alex’ Händen, aber es gelang ihr, zu vermeiden, das ganze Essen auf den Kopf ihres Kunden zu kippen. Ihre Gedanken wirkten dieser Tage nicht mehr wie ihre eigenen.
»Hier kommt das Frühstück«, flötete sie. Je munterer sie sich gab, desto höher fiel ihr Trinkgeld aus. Da sie mit nichts als einem Fell hier angekommen war, wollte sie so viel Kohle wie möglich verdienen.
Sie schaffte es kaum, die vielen Teller auf ihrem Tablett vor ihrem Kunden abzustellen, vor allem, nachdem der Kerl daneben eine ähnlich große Menge Essen bestellt und bereits fünf oder sechs Teller vor sich hatte.
»Kann ich dir sonst noch etwas bringen, Daniel?«
Mit seinem graumelierten Haar und dem fast weißen Schnauzer wirkte Daniel Finnegan wie Mitte fünfzig. Er trug einen grauen Tweedanzug aus einer lange vergangenen Ära – ohne dass Alex hätte bestimmen können, aus welcher – , den er mit einem Hut und glänzenden schwarzen Schuhen komplettierte.
Kaum dass er saß, hatte er sich ihr vorgestellt, doch ließ er nicht zu, dass sie ihn anders als mit dem Vornamen ansprach. »Wie sind eine große Familie«, hatte er sie freundlich gerügt, als sie ihn Mr
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