Wolfsfieber - Band 2
geblieben und hätte sie mir angehört, aber ich hatte so ein bestimmtes Gefühl, dass ich es für heute gut sein lassen sollte, und drängte mich in Richtung Ausgang durch. Wieder an der frischen Abendluft, war ich froh, die drückende Schwüle vor der Bühne hinter mir zu haben, und setzte mich wieder auf die dunklen Holzbänke vor dem Kanal. Der Wind wehte etwas stärker als vorhin. Ich zog meine Jacke an und nahm mir meine Notizen vor. Das schwache Licht vor dem Flex machte es etwas schwierig, meine -krakelige Handschrift zu entziffern, aber ich sah, dass ich alles, was ich zum Interview notiert hatte, mühelos abtippen konnte. Ich wollte nicht sofort wieder zurück ins Hotel, schließlich hatte ich mehr als genug Zeit an diesem unangenehmen Ort verbracht, und nutzte die dumpfe Ruhe vor dem Flex, um meine Anmerkungen zum Auftritt von „Young Blood“ zu vervollständigen.
Ich war gerade dabei, mir passendere Eigenschaftswörter aufzuschreiben, die dem Auftritt und dem Sound gerecht werden konnten, als sich plötzlich jemand neben mich setzte. Erschrocken sah ich von meinen Aufzeichnungen hoch und blickte zu meiner Rechten. Tom hatte sich, fast lautlos, an meine Seite gesetzt und lächelte mich schief an. Ich war zu irritiert, um etwas sagen zu können.
„Hi. Lange nicht gesehen, was?“, neckte er mich wieder in dieser komischen Art. Er trug nicht einmal eine Jacke und es war kalt, richtig kalt.
„Selber hi. Solltest du nicht eigentlich da drin sein und den Auftritt sehen, den du unbedingt nicht verpassen wolltest?“, fragte ich ihn mit hochgezogener Augenbraue. Er lachte laut auf und schien ein bisschen rot zu werden, vielleicht war ihm aber auch nur kalt, oder er war noch überhitzt von seinem anstrengenden Auftritt.
„Was ist so witzig?“, fragte ich ihn und bemerkte, dass ich unwillkürlich mitlachte.
„Ach, eigentlich nur ich. Ich bin mal wieder dabei, mich so richtig vor einer tollen Frau zu blamieren“, gestand er mir. Doch ich starrte stur vor mich hin, von seinem Kompliment völlig überrumpelt. Ich war so dumm, so naiv. Tom flirtete mit mir, vielleicht die ganze Zeit schon. Das hatte Jürgen und Felix so amüsiert. Ich war der Grund für die heitere Stimmung. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich verstummte.
„Oh, ich hab dich vollkommen überrumpelt, oder?“, fragte er nervös und nestelte an seine braunen Stirnhaaren herum.
„Ich … ich, habe anscheinend keinen Sinn mehr für diese Art der Dinge“, deute ich an und war mir sicher, dass er mich jetzt für eine Neurotikerin halten musste und der Flirt damit wohl beendet war.
„Interessant“, sinnierte er. „Seit wann denn nicht mehr? Und bitte sag jetzt nicht, seit ich mit meinem Freund zusammen bin!“ Er legte die Stirn in Falten und wartet auf meine Antwort. Aber was sollte ich ihm sagen? Wenn ich behauptete, ich wäre schon vergeben, wäre das, genau genommen, eine Lüge.
„Ich glaube, ehrlich gesagt, dass ich schon immer ein wenig blind für diese Signale war. Aber irgendwie bin ich schon …“, fing ich an und ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen. Ich konnte nicht sagen: Irgendwie bin ich schon mit jemand zusammen. Ich wusste doch selber nicht, wie die Dinge jetzt standen.
„Irgendwie? Hm. Das klingt ganz gut“, meinte er und legte dabei den Kopf schräg. Er musterte jetzt aufmerksam mein Gesicht und ich musste mir eingestehen, dass ich ein leichtes Prickeln fühlte. Ein attraktiver Mann sah mich an und das auf eine sehr unplatonische Weise. Ich fühlte mich geschmeichelt, auch wenn mir seine Avancen eher unangenehm waren.
„Tom, wir kennen uns ja gar nicht. Du weißt doch nichts über mich!“, stieß ich hervor. Es klang abweisender, als ich wollte. Es gab ja keinen Grund, ihn so vor den Kopf zu stoßen. Schließlich konnte dieser sympathische junge Mann nicht wissen, dass ich beschädigte Ware war, die immer noch mit den Wirren ihrer ersten großen Liebe kämpfte.
„Ich weiß, was ich wissen muss. Du hast mich umgehauen, von der ersten Sekunde an. Deshalb haben sich die beiden so aufgeführt. Sie haben sofort bemerkt, dass du genau mein Typ bist“, sagte er selbstbewusst vor sich hin, als wäre es das Normalste von der Welt, einer völlig fremden Frau all diese Dinge gleich beim ersten Gespräch zu gestehen. Es war irritierend. Tom pendelte zwischen liebenswerter Schüchternheit und tollkühnem Selbstbewusstsein im Sekundentakt hin und her.
Ich versuchte die richtigen Worte zu finden, aber es
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