Wolfsfieber - Band 2
davongelaufen. Wann war ich dieser Feigling geworden? Was war aus meiner Offenbarung geworden? Der Traum, der mir meine Flucht und meinen Weg vorgezeichnet und mir gleichsam auf tröstliche Weise klargemacht hatte, dass es noch Hoffnung gab, schien mir jetzt trügerisch und endlos weit entfernt.
Mein Magen brannte schmerzhaft und zog sich geräuschvoll zusammen. Ich musste etwas essen, auch wenn ich nicht das geringste Verlangen danach verspürte. Ich stand vom Bett auf und versuchte zum Mini-Kühlschrank zu kommen, als mir schwarz vor Augen wurde. Mein Körper war schwach und ausgelaugt, taub wie der Rest von mir. Langsam und zögerlich schaffte ich es bis zur Mini-Bar und ließ mich davor niedersinken. Ich öffnete das kleine Ding und das Licht des Kühlers zeigte mir die Umrisse des Zimmers, in dem ich mich die letzten Tage versteckt gehalten hatte. Ein großes Bett, ein sparta-nischer Schreibtisch, ein Doppelschrank und ein paar unerkennbare Bilder an den Wänden, mehr gab es nicht zu sehen.
Meine Finger tasteten nach dem Obst, einer Banane und einem Apfel. Lustlos zwang ich das Essen in mich hinein. Ich fühlte mich dadurch weder besser noch schlechter. Lediglich das Magenknurren war verstummt.
Eine leise Stimme sagte mir, dass ich mich jetzt baden oder wenigstens die Kleidung wechseln sollte.
Immerhin hatte ich dieses T-Shirt und die Jeans seit Tagen an. Doch obwohl ich wusste, dass es das Vernünftigste wäre, tat ich es nicht. Ich zog mich zurück zum Bett und kroch wieder mal unter meine Decke, das Schneckenhaus. Der Geschmack des Apfels breitet sich auf meiner pelzigen Zunge aus und seine Süße erinnerte mich an den Pfirsichkuchen, den er mir geschenkt hatte. Am liebsten hätte ich losgeheult, aber ich konnte nur trocken vor mich hin stöhnen und -wimmern. Dieser verfluchte Apfel brachte alle süßen Geschmäcker und Gerüche in mein Gedächtnis zurück und folterte mich mit grausam schönen Erinnerungen. Sein Geruch, der Honig-Wald-Geruch, schien plötzlich überall zu sein. Ich roch an meinen strähnigen Haaren, um die Geruchserinnerung damit zu vertreiben. Dann kam eine weitere Erinnerung, eine wesentlich grausamere als die letzte. Der Geschmack und das Gefühl seines Körpers und seiner Lippen folterten mich gnadenlos. Ich wollte, dass es aufhörte, und presste meine Hände über Mund und Nase, als wären die Sinneseindrücke real. Es half nichts und ich schluchzte so lange, bis mein matter Körper wieder einschlief. Zuerst war es ein traumloser, tiefer Schlaf. Doch dann kamen die Bilder und die Träume. Natürlich von ihm .
Istvan war nun überall. Ich konnte seinen Namen nicht mehr verleugnen. In meinem Traum war er allgegenwärtig. Er stand im Wald und suchte mich, er war wieder mit mir auf dem Turm, den Arm fest um mich gelegt. Es war schön und erbarmungslos gleichermaßen.
Und es war nicht auszuhalten. Ich fuhr zu Tode erschrocken im Bett hoch, das Laken noch immer über meinem Kopf. Genau in diesem Moment begann ich das laute, dröhnende Klopfen zu hören. Jemand hämmerte gegen meine Tür. Wer war das? War es noch derselbe Tag?
Ich schleppte mich eine kleine Ewigkeit lang zum Eingang und versuchte im Dunkeln das Schloss aufzuschließen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich in den grellen Flur und in das Gesicht meines unerwarteten Besuchers, den mein Anblick offenbar erschreckte. Denn noch bevor ich sah, wer mein Besucher war, hörte ich seinen erstickten Aufschrei.
„Joe, bist du das? Du siehst furchtbar aus. Was machst du hier bloß, was ist passiert?“
Carla feuerte ihre verängstigten Fragen auf mich ab, während ich noch nicht mal wirklich begreifen konnte, dass sie tatsächlich einen halben Meter vor mir stand. Es könnte genauso gut ein Traum sein, ich würde den Unterschied kaum bemerken. Erst als sie mich am Oberarm packte und ihre braunen Augen mich durchbohrten, wusste ich, dass sie wirklich den ganzen Weg hergefahren war. Mein dummer Anruf musste sie derart verstört haben, dass sie nicht anders konnte.
Ich antwortete ihr nicht sofort. Es war noch immer schwer, meine eigene Stimme hören zu müssen, die ich jetzt zu hassen begann, nach all den grässlichen Abschiedsworten, die sie zuletzt ausgesprochen hatte.
„Wie hast du mich bloß gefunden? Ich habe doch gesagt, dass du nicht kommen sollst!“, stammelte ich kraftlos und kaum hörbar in ihre Richtung. Danach kroch ich automatisch zurück ins Bett, ohne sie anzusehen oder ihr Licht zu machen.
„Ich hab
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