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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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ver-
    gnügten Blick ständig auf mir zu spüren, und bekam wieder
    dieses Vertrautheitsgefühl, was ihn anging. Istvan kam lang-
    sam auf mich zu und zeigte auf ein paar Platten ganz hinten,
    dabei sagte er bedeutungsvoll:
    „Du liebst also Musik. Hätte ich mir denken können.“
    „Lieben? Definitiv, ja. Weißt du, ich habe noch einen
    zweiten Job als Musikkritikerin für ein Online-Musikmaga-
    zin. Und das hier ist einfach nur umwerfend“, schwärmte ich
    und deutete auf die dünnen Alben.
    „Moment mal, wieso hättest du dir denken können, dass
    ich Musikliebhabern bin?“, fragte ich etwas beunruhigt.
    „Nur so ein Gefühl“, sagte er und wollte damit schnell das
    Thema beenden.
    „Hat dir vielleicht jemand erzählt, dass ich auch Musik-
    journalistin bin?“, fragte ich nach.
    „Ja. Ja, genau. Ich glaube, jemand hat das mir gegenüber
    mal erwähnt“, stotterte er fast und machte dabei einen un-
    glaubwürdigen Eindruck.
    Hatten wir uns vielleicht doch schon mal zuvor gesehen?
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    Wieso hatte ich bei einem völlig Fremden das Gefühl, mit
    einem alten Freund zusammen zu sein? Seltsam. Und jetzt
    dieser merkwürdige Versprecher, der ihm rausgerutscht war.
    Vermutlich interpretierte ich da zu viel hinein.
    Nachdem ich seine ganze Musiksammlung inspiziert hat-
    te, war mir etwas aufgefallen. Ich musste ihn danach fragen.
    „Du hast so viel klassische Musik und Platten von
    den 30ern bis zum Ende der 50er-Jahre, aber gar nichts, was
    nach 1970 erschienen ist. Gibt’s dafür einen bestimmten
    Grund?“
    „Ich mag eben Musik aus dieser Zeit besonders. Alles,
    was nach den 70ern gemacht wurde, gefällt mir eigentlich
    nicht besonders. Bis auf ein paar Ausnahmen natürlich“, ge-
    stand er.
    Ich nickte verständig und bohrte weiter.
    „Hast du auch eine CD-Sammlung?“, wollte ich erwar-
    tungsvoll von ihm wissen.
    „Nein. Ich bin mehr der Analog-Typ!“, stellte er mit einem
    umwerfenden Lächeln klar.
    „Verstehe. Du brauchst das Knacken und Kratzen eines
    Plattenspielers, um die Musik wirklich genießen zu können.
    Mein Chef, der vom Musikmagazin, würde dir bestimmt ge-
    fallen. Er ist zwar schon fast fünfzig, hat aber eine ähnliche
    Einstellung wie du“, sagte ich und bemerkte, dass er irgend-
    wie nervös wurde.
    „Ist irgendwas nicht in Ordnung?“, wollte ich wissen.
    „Nein, alles o. k. Nur müsste ich langsam zur Eröffnung
    zurück. Wir sind schon fast eine Stunde weg. Es wird lang-
    sam auffallen, dass wir beide schwänzen“, scherzte er.
    Ich lachte und nickte zustimmend.
    „Wir sollten wieder zurückgehen.“
    Istvan führte mich wieder zum Ausgang, indem sein Arm
    mich mit sanftem Druck auf meinen unteren Rücken in die
    richtige Richtung lenkte, wie Männer in alten Filmen das
    mit ihren Begleiterinnen machten. Diese Geste schien mir
    für einen fremden Mann, der gerade erst eine Frau kennen-
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    gelernt hatte, zu intim. Dennoch entzog ich mich nicht sei-
    ner Nähe. Im Gegenteil. Ich genoss die Wärme, die von ihm
    ausging, und diesen warmen Geruch, den Istvan verströmte.
    Wie heiße Milch mit Honig und nach einem Wald im Som-
    mer roch er. Das brachte mich dazu, etwas näher an ihn ge-
    lehnt zu gehen.
    Bevor wir den Ausgang erreicht hatten, bedeutete er mir
    noch mit einer kurzen Geste zu warten. Er suchte offenbar
    nach etwas auf seinem Schreibtisch. Während er in den
    Schubladen kramte, sah ich mich etwas im Eingangsraum
    um. Das Erste, was mir auffiel, war, dass ich kein einziges
    Foto im ganzen Haus gesehen hatte, weder von ihm selbst
    noch von seiner Familie. Er schien offenbar wirklich etwas
    gegen Fotos zu haben. Anstelle von Fotografien hingen an den
    Wänden viele Kohlezeichnungen und andere Malereien.
    Als er fand, wonach er gesucht hatte, ein kleines Buch
    mit Katalognummern, gingen wir zurück in die neue Biblio-
    thek, wo gleich am Eingang Taucher auf uns wartete und uns
    panisch entgegenschrie:
    „Wo wart ihr denn so lange? Hier ist die Hölle los. Alle
    wollen etwas über die Bücher wissen und ich habe doch kei-
    ne Ahnung“, gestand der Bürgermeister und man konnte den
    verzweifelten Anblick, den er bot, leicht verstehen. Sofort
    eilte Istvan ihm zu Hilfe und unterhielt sich freundlich mit
    allen Besuchern, die ihm der Bürgermeister vorstellte.
    Ein gut aussehender, kluger Mann, der gerne bereit war,
    alle Fragen zu beantworten, kam bei den Besuchern gut an
    und ich hatte keine Chance, ihm weitere Fragen zu stellen.
    Ich sah mir noch mal die tollen

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