Wolfsfieber
ver-
gnügten Blick ständig auf mir zu spüren, und bekam wieder
dieses Vertrautheitsgefühl, was ihn anging. Istvan kam lang-
sam auf mich zu und zeigte auf ein paar Platten ganz hinten,
dabei sagte er bedeutungsvoll:
„Du liebst also Musik. Hätte ich mir denken können.“
„Lieben? Definitiv, ja. Weißt du, ich habe noch einen
zweiten Job als Musikkritikerin für ein Online-Musikmaga-
zin. Und das hier ist einfach nur umwerfend“, schwärmte ich
und deutete auf die dünnen Alben.
„Moment mal, wieso hättest du dir denken können, dass
ich Musikliebhabern bin?“, fragte ich etwas beunruhigt.
„Nur so ein Gefühl“, sagte er und wollte damit schnell das
Thema beenden.
„Hat dir vielleicht jemand erzählt, dass ich auch Musik-
journalistin bin?“, fragte ich nach.
„Ja. Ja, genau. Ich glaube, jemand hat das mir gegenüber
mal erwähnt“, stotterte er fast und machte dabei einen un-
glaubwürdigen Eindruck.
Hatten wir uns vielleicht doch schon mal zuvor gesehen?
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Wieso hatte ich bei einem völlig Fremden das Gefühl, mit
einem alten Freund zusammen zu sein? Seltsam. Und jetzt
dieser merkwürdige Versprecher, der ihm rausgerutscht war.
Vermutlich interpretierte ich da zu viel hinein.
Nachdem ich seine ganze Musiksammlung inspiziert hat-
te, war mir etwas aufgefallen. Ich musste ihn danach fragen.
„Du hast so viel klassische Musik und Platten von
den 30ern bis zum Ende der 50er-Jahre, aber gar nichts, was
nach 1970 erschienen ist. Gibt’s dafür einen bestimmten
Grund?“
„Ich mag eben Musik aus dieser Zeit besonders. Alles,
was nach den 70ern gemacht wurde, gefällt mir eigentlich
nicht besonders. Bis auf ein paar Ausnahmen natürlich“, ge-
stand er.
Ich nickte verständig und bohrte weiter.
„Hast du auch eine CD-Sammlung?“, wollte ich erwar-
tungsvoll von ihm wissen.
„Nein. Ich bin mehr der Analog-Typ!“, stellte er mit einem
umwerfenden Lächeln klar.
„Verstehe. Du brauchst das Knacken und Kratzen eines
Plattenspielers, um die Musik wirklich genießen zu können.
Mein Chef, der vom Musikmagazin, würde dir bestimmt ge-
fallen. Er ist zwar schon fast fünfzig, hat aber eine ähnliche
Einstellung wie du“, sagte ich und bemerkte, dass er irgend-
wie nervös wurde.
„Ist irgendwas nicht in Ordnung?“, wollte ich wissen.
„Nein, alles o. k. Nur müsste ich langsam zur Eröffnung
zurück. Wir sind schon fast eine Stunde weg. Es wird lang-
sam auffallen, dass wir beide schwänzen“, scherzte er.
Ich lachte und nickte zustimmend.
„Wir sollten wieder zurückgehen.“
Istvan führte mich wieder zum Ausgang, indem sein Arm
mich mit sanftem Druck auf meinen unteren Rücken in die
richtige Richtung lenkte, wie Männer in alten Filmen das
mit ihren Begleiterinnen machten. Diese Geste schien mir
für einen fremden Mann, der gerade erst eine Frau kennen-
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gelernt hatte, zu intim. Dennoch entzog ich mich nicht sei-
ner Nähe. Im Gegenteil. Ich genoss die Wärme, die von ihm
ausging, und diesen warmen Geruch, den Istvan verströmte.
Wie heiße Milch mit Honig und nach einem Wald im Som-
mer roch er. Das brachte mich dazu, etwas näher an ihn ge-
lehnt zu gehen.
Bevor wir den Ausgang erreicht hatten, bedeutete er mir
noch mit einer kurzen Geste zu warten. Er suchte offenbar
nach etwas auf seinem Schreibtisch. Während er in den
Schubladen kramte, sah ich mich etwas im Eingangsraum
um. Das Erste, was mir auffiel, war, dass ich kein einziges
Foto im ganzen Haus gesehen hatte, weder von ihm selbst
noch von seiner Familie. Er schien offenbar wirklich etwas
gegen Fotos zu haben. Anstelle von Fotografien hingen an den
Wänden viele Kohlezeichnungen und andere Malereien.
Als er fand, wonach er gesucht hatte, ein kleines Buch
mit Katalognummern, gingen wir zurück in die neue Biblio-
thek, wo gleich am Eingang Taucher auf uns wartete und uns
panisch entgegenschrie:
„Wo wart ihr denn so lange? Hier ist die Hölle los. Alle
wollen etwas über die Bücher wissen und ich habe doch kei-
ne Ahnung“, gestand der Bürgermeister und man konnte den
verzweifelten Anblick, den er bot, leicht verstehen. Sofort
eilte Istvan ihm zu Hilfe und unterhielt sich freundlich mit
allen Besuchern, die ihm der Bürgermeister vorstellte.
Ein gut aussehender, kluger Mann, der gerne bereit war,
alle Fragen zu beantworten, kam bei den Besuchern gut an
und ich hatte keine Chance, ihm weitere Fragen zu stellen.
Ich sah mir noch mal die tollen
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