Wolfsfieber
wissen, ob er
in Ordnung war.
Das Auto ließ ich stehen und ging gleich durch die Gara-
ge nach draußen. Als ich im Garten stand, brach bereits der
Tag an und das Licht drängte sich ostwärts über den Hori-
zont. Ich lief gerade zum Gartentor, als mir der blaue Fleck
im Garten auffiel. Meine blaue Decke lag im Gras. Istvan
musste sie verloren haben. Doch war das ein schlechtes Vor-
zeichen? War er dann nackt nach Hause gelaufen? Konnte
dieser Morgen etwa noch seltsamer werden als die vergan-
gene Nacht?
Ich lief panisch über den Waldweg zum nördlichen Dorf-
rand, bog dort in die lange, enge Straße zur Kirche ein, hetzte
über den Friedhof, die alte Abkürzung, und stand vor der
Gartenlaube der Pfarrei. Ich musste kurz verschnaufen, so
schnell war ich gerannt.
Mit einem Sprung stand ich vor seinem Haus und häm-
merte gegen die Tür.
„Istvan, ich bin’s, Joe. Bitte mach auf! Ich muss wissen,
ob es dir gut geht!“, schrie ich mit aufgebrachter Stimme.
„Istvan, los, mach auf! Ich werde nicht weggehen, ehe
ich mich nicht versichert habe, dass du noch lebst. Komm
schon, ich muss doch wissen, ob es dir gut geht.“ Ich klang
mittlerweile bedrohlich.
„Verdammt, mach jetzt auf“, wiederholte ich an die Tür
pochend und wütende Tränen schossen mir vor Verzweiflung
aus den Augen.
Ich wollte gerade wieder mit der Faust auf die Tür ein-
hämmern, als ich jemanden auf der anderen Seite hörte, der
den Hauseingang aufschloss.
Istvan stand vor mir, diesmal angezogen. Ein leerer, be-
sorgter Ausdruck verdunkelte seine grünen Augen. Er ver-
sperrte mir stumm den Zugang.
Ich drängte ihn mit beiden Armen und aller Kraft, die ich
noch aufbringen konnte, vom Eingang in das Haus. Meine
39
Fäuste hämmerten wild auf seine Brust, während ich ver-
heult stammelte:
„Bist du wahnsinnig? Wie kannst du einfach abhauen? Ich
dachte schon, du liegst tot im Graben. Mir wäre fast das Herz
stehen geblieben. Wie kam man einfach abhauen, wenn man
angefahren wird?“, schrie ich ihm entgegen, wobei nicht alles
verständlich war, was ich in meinem Wutausbruch unter Trä-
nen von mir gab. Jetzt brach ich zusammen. Ich fiel kraftlos
an seine Brust. Er umarmte mich automatisch und fuhr mit
seinen Händen besänftigend meinen Rücken entlang.
„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht beunruhigen. Ich woll-
te nicht einfach so abhauen. Das musst du mir glauben. Es
ging nicht anders. Ich hatte keine Wahl. Ich schwöre es dir“,
redete er mit samtener Stimme auf mich ein.
Ich befreite meine Augen von dem Tränenfilm und sah
zu ihm hoch.
„Du weißt schon, dass das alles keinen Sinn ergibt“, ließ
ich ihn wissen.
Er antwortete nicht. Ich befreite mich etwas beschämt
aus seiner Umarmung und versuchte mit einem tiefen Atem-
zug, wieder Herr der Lage zu werden.
„Wieso wolltest du keinen Arzt? Du könntest noch immer
verletzt sein, ohne es zu merken. Du musst das abchecken
lassen. Bitte“, flehte ich ihn mit aufgerissenen Augen und
händeringend an.
„Mir fehlt wirklich nichts. Vertrau mir, ich bin nicht ver-
letzt. Es ist alles in Ordnung mit mir.“ Seine Versicherung
bekräftigte Istvan, indem er die Hände von sich streckte wie
Michelangelos Modellmensch, den die Mediziner als Logo
verwenden.
Er hatte die Wahrheit gesagt. Er machte auf den ersten
Blick einen gesunden Eindruck. Zumindest unverletzt. Seine
ausgestreckten Unterarme waren mir zugewandt. Dabei fiel
es mir auf.
Seine Arme waren völlig unverletzt! Keine Kratzer, keine
Narben. Noch nicht mal geringe Spuren von Abschürfung,
40
weder auf seinen Armen noch auf seinen Händen. Wie war
das möglich? Ich selbst hatte noch vor wenigen Stunden Blut
und Kies von seinen Armen entfernt.
„Deine Arme!“, stammelte ich erstaunt. „Deine Arme. Sie
sind sauber. Du hast keinen Kratzer. Verdammt, wie kann
das sein?“
Erschrocken und ängstlich zog er sich wie ein verwun-
detes Tier in eine Ecke zurück und starrte mich in stummer
Verzweiflung an. Seine Hände hatte er in seinen Achseln ver-
steckt. Ich tat einen Schritt auf ihn zu, der ihn noch mehr er-
schaudern ließ. Ich wollte ihn nicht quälen. Es tat weh, ihn
derart verletzt und verzweifelt zu sehen. So ruhig ich konnte,
stellte ich ihm die fundamentalsten Fragen. Jene Fragen, die
ich wissen musste.
„Bitte sag mir, was hier eigentlich los ist, ich verliere sonst
noch den Verstand? Wer oder was bist du?“
41
3. Konfrontationen
„Wer
Weitere Kostenlose Bücher