Wolfsfieber
könn-
te“, stellte er mit tiefer, trauriger Stimme klar.
Ein besorgtes, leeres Gefühl breitete sich in meinem Kör-
per aus, das ich versuchte, so gut wie möglich zu ignorieren.
Er öffnete die Hintertür zum Garten, wo ein lauer Mor-
gen auf uns wartete. Der kleine Pfarreigarten war mit drei
großen Bäumen bestückt, die mittlerweile derart gewachsen
waren, dass sie sich gegenseitig im Weg standen und eine
Art Dach aus Blättern bildeten. Darunter stand eine Holz-
bank. Diese malerische Kulisse bildete einen zu grotesken
Gegensatz zu dem dunklen Geständnis, das ich auf mich zu-
kommen fühlte.
Er wartete, bis ich mich gesetzt hatte, und nahm neben mir
Platz, ohne dass er mir auch nur einmal im Vorbei gehen ins
Gesicht gesehen hätte. Seine Hände hielten sich verkrampft
an der Bank fest, während ich meine ebenso angespannt
zwischen meine Schenkel drückte. Für einen ahnungslosen
Beobachter mussten wir aussehen wie ein schüchternes Lie-
bespaar aus dem 19. Jahrhundert, das zum ersten Mal allein
miteinander sein durfte. Nur war es in Istvans und meinem
Fall ganz anders.
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„Ich halte das nicht mehr aus. Sag es mir jetzt“, flüsterte
ich mit gesenktem Blick.
„Das ist schwer für mich. Vor allem, weil ich es noch nie
jemandem gesagt habe. Und dann musst ausgerechnet du
hinter mein Geheimnis kommen.“
„Wieso, was macht es für einen Unterschied, ob ich es
bin oder jemand anders?“, fragte ich ahnungslos.
Dabei sah er mich irritiert an, als hätte ich einen unaus-
gesprochenen Pakt zwischen uns gebrochen.
„Ich will nicht, dass du weißt, was ich bin. Ich will, dass
du mich als Mann siehst und nicht als das, was ich wirklich
bin. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass du mich
verabscheuen wirst“, gestand er mir offen.
Jetzt war sein Gesicht zu mir gedreht und wir sahen uns
direkt in die Augen. Diese grünen, traurigen Augen, wie
könnte ich sie jemals verabscheuen oder den Mann, dem sie
gehörten? Der Gedanke schien mir vollkommen unmöglich.
„Ich könnte dich nie verachten. Das ist undenkbar. Wieso
sollte ich auch?“, gestand ich ihm im Gegenzug.
Jetzt schloss er mit schmerzverzerrter Miene die Augen
und atmete schwer und laut aus. Mit geschlossenen Augen,
sein Gesicht zu den Baumkronen erhoben, sprach er es aus:
„Weil ich kein Mensch bin! Du hast bereits gesehen, was
ich bin, auch wenn dein Verstand nicht bereit war es zu glau-
ben. Du kennst die Wahrheit.“
„Ein Wolf. Ich habe einen Wolf gesehen. Ich habe einen
Wolf angefahren. Ich, ich habe dich angefahren“, stammel-
te ich mit atemloser Stimme. Mein Herz raste und mein
Verstand drehte sich in absurden Bahnen und widersprach
meinen eigenen Beobachtungen. Aber das alles war egal.
Ich wusste, was ich in dieser Nacht gesehen hatte. Und
so absurd es auch war, es war die einzige Erklärung, zu der
alle Fakten passten. Ich zählte alles noch mal laut für ihn
auf.
„Dass du nackt warst! Die zu tiefe Delle an meinem Wa-
gen. Dein plötzliches Verschwinden und deine Angst, von
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jemandem untersucht zu werden. Du bist kein Mensch! Ich
habe ein Tier gesehen! Was bist du eigentlich?“
Jetzt drängte er sich ganz weit von mir weg und saß fast
schon auf der Banklehne. Doch nicht einmal dort hielt er es
aus. Istvan sprang mit einer schnellen Bewegung in die Luft
und landete gekonnt hinter der Bank. Er lehnte mit dem Rü-
cken am Baum und sah auf mich hinunter. Als er sich mit
dem Gesicht etwas näher zu mir herunterbeugte, sagte er:
„Du würdest mich wohl einen Werwolf nennen! Das ist
es, was ich bin!“
Ich fragte mich, ob mein Gesicht einen entsetzen Aus-
druck machte oder ob nur mein Inneres vollkommen auf-
gewühlt war. Ich hoffte auf Letzteres, da es ihn weniger ver-
schrecken würde. Ich musste einen Witz machen, vielleicht
würde das seine Anspannung lösen und meine auch.
„Verdammt! Da fahre ich einmal einen heißen, nackten
Mann an und dann gehört er nicht mal zur selben Spezies
wie ich. War ja klar!“
Er lachte nicht. Nicht mal sein mir mittlerweile wohlbe-
kanntes leichtes Grinsen schenkte er mir. Er schien ohnehin
über sein Geständnis noch geschockter zu sein als ich, falls
das überhaupt möglich war.
„Ich versteh dich nicht. Ich habe zwar keinerlei Erfahrung
damit, Menschen die Wahrheit über mich zu gestehen, aber
ich hatte Schreie und panische Fluchtversuche erwartet!“,
stellte er irritiert fest.
„Tut mir leid dich zu
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